Jemand Anders
hat sich nichts. Höchstens zum Schlechteren. Während sie seine dreckige Unterwäsche in die Maschine steckt, hat sie ständig die Körperteile vor sich, die diese Verschmutzung verursacht haben. Seinen kleinen Schwanz, seinen hängenden Arsch, seine triefenden Achseln. Wie kann einer nur so schwitzen, wo er doch nichts tut den lieben langen Tag außer herumhängen und saufen und fressen und rülpsen! Dazwischen nichts als diese blödsinnigen Ja eh -Kommentare zu Gott und der Welt. Und wie, wie nur war es möglich gewesen, dass sein ewig tropfender Wurmfortsatz jemals in sie, in ihr … dass sie es zugelassen hatte, ohne dabei Ekel zu empfinden, ohne in gellendes Gelächter auszubrechen … Peter und Maria … Verdammt noch einmal: Sie waren schließlich nicht das Ergebnis einer jungfräulichen Geburt!
Sie analysiert heftig neuerdings: die eigenen Gewohnheiten, die täglichen Rituale. Beobachtet sich dabei, wie ihr erster Weg in der Früh nicht mehr aus dem Bad in die Küche führt, zur Kaffeemaschine etwa oder zum Kühlschrank, um sich ein Marmeladebrot zu schmieren. Nein, etwas anderes versüßt ihr jetzt den Morgen: das Öffnen des Mailprogramms. Die Hoffnung auf Nachrichten. Auf die Nachricht. Von wem? Von wem erwartest du dir das ultimative Mail, Adele? Sie weiß es nicht. Aber sie wartet, klickt sich ungeduldig durch den Posteingang, rollt den Stein den Hügel hinauf. Sisypha nennt sie sich insgeheim, arme Sisypha. Eine, die robotet ohne Dank und Lohn.
Du wartest auf das Mail von Gott.
Gerlindes spontaner Kommentar, als sie in der Frauenrunde davon erzählte.
„Spinnst du?“, fuhr sie auf. „Ich, die Atheistin?“
„Eben darum“, grinste Gerlinde.
Dieses Grinsen beschäftigt sie seither. Wann immer sich ihr Gesicht während des Hochstartens des Computers im glänzenden Bildschirm spiegelt, während sie darauf wartet, dass das Mailprogramm sich endlich öffnet, denkt sie an Ihn: wie Er sie beobachtet bei ihrem Warten auf was auch immer. Aber, murmelt sie trotzig: Hat Sisyphus nicht Thanatos, den Tod, besiegt?
Warum sollte eine Sisypha das nicht auch hinkriegen?
*
Was macht es aus, dieses endlose Beharrungsdingsbums?
Ist es bloß die Macht der Gewohnheit nach einem Vierteljahrhundert Verheiratetsein?
Natürlich wissen sie beide längst, dass die Ehe hin ist. Aber wenn das einmal akzeptiert wurde, kann es auch beruhigen: Nichts mehr wollen voneinander ...
Das ist beinahe wieder so etwas wie eine neue Gemeinsamkeit, eine Art gemeinsamer Meditation auf die große Bedürfnislosigkeit. Buddhistisch fast.
Dass sie immer noch das alte Ehebett benutzen und nicht längst in getrennten Betten schlafen, hat nichts zu besagen. Sie vermeiden die kleinste Berührung, liegen da wie durch gläserne Platten getrennt. Wozu eigentlich – um einander beim Schnarchen zuzuhören?
An sich schnarcht ja nur sie. Wovon sie allerdings nichts wissen will.
„Ich? Ich schnarch’ sicher nicht, ich hab nie geschnarcht!“
In einer Nacht ist er extra aufgestanden und hat seinen alten Kassettenrekorder hervorgeholt. Nur, um es ihr beweisen zu können. Sie war davon wenig beeindruckt:
„Reg dich net auf. Solang ich schnarch’, leb ich noch.“
Welch ein Trost! Und was für eine Logik seitens einer, die es immer abstreitet zu schnarchen!
Sie schnarcht geradezu unanständig, das dafür ständig. Er empfindet diese Mischung aus Grunzen und Furzen als eine gegen ihn gerichtete Bösartigkeit. Um es ihr heimzuzahlen, verdoppelt er, wenn sie ihn wieder einmal besonders reizt, die ekelhafte Klangkulisse. Jedes pfeifende oder gurgelnde Einsaugen der Luft ihrerseits beantwortet er mit seinem, ein richtiges Schnarchduell, allerdings mit höchst ungleichen Vorzeichen. Denn während er sie genervt imitiert, reagiert sie nicht im Mindesten auf ihn, natürlich nicht, schläft sie doch, nur im Schlaf kann man sich so vulgär aufführen. Er wird es ihr jetzt hineinsagen, hinausschreien: Du bist so was von vulgär!
Eine vulgäre Fotze!
Aber dann tut er es doch nicht. Stopft sich stattdessen die rosa Wachspfropfen in die Ohren und ringelt sich zusammen.
1. April 2003
Später würde sie sich einreden, sie hätte es an jenem Morgen schon geahnt. Dass sich mit der plötzlichen neuen Aussicht ihr Leben schlagartig verändern würde. Dass mit dem Fall der Buche auch in ihr etwas zusammenbrechen würde …
Alles hängt mit allem zusammen, Joy!
Wie Buchen und Buchstaben. Buochstap auf Mittelhochdeutsch. Erst unlängst hatten sie im
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