Jemand Anders
vergesse ich ohnedies. Nur dem Nebensächlichen gilt meine Treue; permanente Ablenkung, so heißt mein Geschäft. Aller Laster Anfang. Und kein Ende in Sicht.
Unwirsch trete ich den Wäscheberg auseinander. Aus einem Strumpf fällt etwas Rechteckiges heraus. Wie wenn der Nikolaus kommt, der steckt seine Gaben doch auch immer in einen Strumpf. Dann erkenne ich es wieder.
Mein altes Handy, das beim Unfall verloren ging. Angeblich.
Wie kommt es unter ihre Wäsche?
Der Akku ist geladen. Ich tippe viermal die Eins ein, meine wenig einfallsreiche PIN. Der Willkommensjingle ertönt, dazu der Schriftzug Servus Edgar . Ich scrolle durch die Anrufliste. Das letzte abgehende Gespräch stammt vom achtundzwanzigsten Jänner. Die Nummer ist mir unbekannt.
Mein Daumen macht sich selbstständig. Unter Eigene Dateien/Sprachmemos stoße ich auf achtzehn gespeicherte Tonaufnahmen. Nach den Dateigrößen zu urteilen, handelt es sich um Aufnahmen recht unterschiedlicher Länge. Ich beginne mit der letzten: 0018.amr.
Was ich höre, klingt vertraut. Vertraut und doch fremd, wie jede Aufzeichnung der eigenen Stimme. Aber ich habe nicht gewusst, dass sie so beben kann. Beben vor Wut.
Der Inhalt ist mir völlig unbekannt.
0018.amr
Im Suff haben sie sich verraten. Da haben wir uns halt eine lustige Geschichte ausgedacht … Lustig für wen?!
Nicht einmal heute kennen sie ein schlechtes Gewissen, prahlen sogar noch mit ihrer verlogenen Beichte! Typen wie sie rasieren sich nicht nur die Schamhaare ab, sondern das Schamgefühl gleich dazu. Was gibt es Bodenloseres, Unergründlicheres als schiere Gemeinheit? Wie praktisch, wenn du kein Gewissen hast: So brauchst du nie zu zweifeln an dir.
Sie haben gelogen ohne Rücksicht auf die Folgen. Ich hätte sie unsittlich berührt, ich! Was mit mir, ihrem Präfekten, passieren würde, war ihnen egal. Was wollten sie sich mit ihrer Lüge ersparen? Eine Ausgangssperre? Ein Filmverbot? Ich habe sie zappeln lassen, ja, habe vorgegeben, mir die Entscheidung noch überlegen zu müssen. Dabei hatte ich gar nicht vor, die beiden zu bestrafen.
Dass der Rektor ihre Anschuldigungen als Vorwand benutzte, um mich, den kritischen Fragesteller, loszuwerden, steht auf einem anderen Blatt. Da werden – falls man nicht überhaupt wegschaut – wirkliche Kinderschänder von einem Internat ins andere verschoben, um dort weitermachen zu können wie bisher, aber mir wird von höchster Stelle untersagt, jemals wieder als Erzieher arbeiten zu dürfen! Welch ein Hohn!
Rück-sichts-los … Das heißt doch, nie mehr zurückblicken zu müssen.
Ob ich schon so weit bin? Ob ich nach Gott auch den Teufel nicht mehr fürchte? Anders als die Judasse, die SS und Gestapo die Drecksarbeit erledigen lassen. Die sich den Anblick ersparen. Den Anblick zerschlagener Glieder und gebrochener Augen.
Die sich umbringen, wenn einer sie zur Rede stellt. Wie billig!
Bin ich nicht stärker als die?
Die alte Haut endgültig abzustreifen … sich abzuwenden von der eigenen Vergangenheit … Wäre das nicht die wahre, die wirkliche Wende?
Schonungslos. Gnadenlos.
Wenn der liebe Gott tot ist, gibt es keine Gnade.
28. Jänner 2010
Okay, wir sind nie das verliebte Pärchen von nebenan gewesen, das händchenhaltend durch die Gassen läuft und sich in aller Öffentlichkeit abschmust. Wir haben auch keine Swingerclubs besucht oder auf Saturday Night Fever gemacht, mit fünfzig plus braucht man ja nicht mehr jeden Blödsinn mitmachen, dessen waren wir uns beide bewusst. Aber einander Halt, Wärme, Geborgenheit zu geben, das ist ja nicht nichts. Ich für meinen Teil habe mich bei dir jedenfalls wohlgefühlt, aufgehoben. Habe geglaubt, wir seien ein Paar, das seinen Weg geht. Das sicher einen Schritt vor den anderen setzt, auch wenn es mal finster ist.
Zwölf Jahre Sicherheit. Und das alles willst du jetzt wegwerfen, Edgar? Wofür?
Du weißt nicht, dass ich es weiß. Seit fünf Tagen, den schlimmsten fünf Tagen meines Lebens. Ich habe es aus deinem eigenen Mund gehört, obwohl du eisern schweigst.
Feigling, elender Feigling!
Nimmst dein Liebesgeflüster mit ihr auch noch auf! Damit du dir die Aufnahme so oft anhören kannst, bis es keine Zweifel mehr gibt. Woran genau zweifelst du, Mann? Ob du dir eine Geliebte leisten kannst, ob es sich finanziell ausgeht? Oder ist es nur eine Frage des Zeitpunkts, wann du mir sagen wirst, dass die alte Regina auf den Müllhaufen geschmissen werde, entsorgt wie ein alter Fetzen?
Soll ich versuchen, mit
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