Jene Nacht im Fruehling
irgendwelchen Vorschriften leben. Nach Bergen von Vorschriften. Also sagen Sie mir jetzt, welche Bedingungen Sie mir stellen.«
Samanthas Antwort bestand darin, daß sie ihre Reisetasche aufhob und nach ihrem Koffer griff. Aber er legte seine Hand darauf und wollte ihn nicht freigeben.
»Also gut«, wiederholte sie. »Das ist unmöglich. Würden Sie bitte die Hand von meinem Koffer nehmen, damit ich gehen kann?«
Mike hatte keineswegs die Absicht, sie fortgehen zu lassen. Abgesehen von der Tatsache, daß er sie so heftig begehrte, daß ihm der Schweiß über die Brust rann, obwohl es ein empfindlich kühler Tag war, gab es da noch das Versprechen, das er ihrem Vater gegeben hatte. Mike war sich bewußt, daß sie keine Ahnung hatte, wie nahe er und ihr Vater sich gestanden hatten - daß sie nicht wußte, wieviel Zeit er und Dave miteinander verbracht hatten, ehe Dave ihm sagte, daß Samantha wieder nach Hause käme. Nach dieser Ankündigung beschränkte sich ihre freundschaftliche Beziehung auf Briefe, die er, Mike, an Daves Anwalt geschickt hatte, denn aus irgendeinem Grund hatte Dave ihn nicht mit Samantha bekannt machen wollen, jedenfalls nicht, solange er noch lebte. Dann, zwei Tage vor seinem Tod, hatte Dave ihn angerufen, obgleich Dave da schon so schwach gewesen war, daß er nicht alles verstanden hatte, was Dave zu ihm sagte, wenngleich er zumindest dem Sinn nach Daves Anliegen begriff. Dave hatte ihm zunächst mitgeteilt, daß er Samantha zu ihm nach New York schicken würde, und ihn dann gebeten, auf sie aufzupassen. Damals hatte er das Empfinden gehabt, daß er gar keine andere Wahl hatte, und Dave deshalb sein Wort gegeben, daß er Samantha beschützen und auf sie aufpassen würde. Aber er hatte nicht den Eindruck, daß Dave mit seiner Bitte das gemeint hatte, was sich bisher zwischen ihm und Samantha abgespielt hatte.
Mike blickte jetzt auf Samanthas Gepäckstücke hinunter. »Wo haben Sie die Sachen eingepackt, die Sie zum Übernachten brauchen?«
Samantha dachte, daß das doch eine sehr seltsame Frage sei, aber waren nicht die letzten paar Minuten die seltsamsten ihres Lebens gewesen?
Mike wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern nahm ihre Reisetasche hoch und schloß die Haustür auf.
»Fünf Minuten, das ist alles, worum ich Sie bitte. Geben Sie mir fünf Minuten Zeit und drücken Sie dann auf den Klingelknopf.«
»Würden Sie mir bitte meine Reisetasche zurückgeben?«
»Wieviel Uhr ist es jetzt?«
»Viertel nach vier«, erwiderte sie automatisch nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.
»Okay, um zwanzig nach vier drücken Sie auf die Klingel.«
Er schloß die Haustür hinter sich, und Samantha blieb mit der Hälfte ihres Gepäcks allein auf der Vortreppe zurück. Als sie auf den Klingelknopf drückte, erfolgte keine Reaktion. Sie war versucht, ihren Koffer aufzunehmen und das Weite zu suchen, aber die Tatsache, daß ihr letztes Bargeld in ihrer Reisetasche war, zwang sie dazu, sich auf ihren Koffer zu setzen und zu warten.
Sie versuchte, nicht an ihren Vater zu denken, sich nicht zu fragen, warum er ihr das angetan hatte. Und vor allem bemühte sie sich, nicht an ihren Ehemann zu denken - pardon, ihren Ex-Ehemann -, sondern sie zwang sich dazu, die Bürgersteige zu betrachten und die Straße unterhalb der Treppe. Sie zwang sich dazu, die Leute dort zu beobachten, die Männer, die in Jeans steckten, und die Frauen, die empörend kurze Röcke trugen. Selbst in New York schien es mitten in der Woche eine beschauliche Sonntagnachmittag-Atmosphäre zu geben.
Dieser Mann - dieser Michael Taggert — hatte gesagt, daß er einen neuen Anfang machen wolle. Wenn sie könnte, würde sie gern mit ihrem Leben noch einmal von vom beginnen, neu beginnen an jenem Tag, an dem ihre Mutter starb; denn nach diesem Tag war in ihrem Leben nichts mehr so gewesen wie vorher. Daß sie heute hier vor diesem Haus sitzen mußte, gehörte zu all den Schmerzen und dem Leid, die an jenem Tag angefangen hatten.
Als sie wieder auf ihre Uhr schaute, war ihr erster Gedanke, daß sie diese vielleicht versetzen konnte. Aber die Uhr hatte neu nur dreißig Dollar gekostet, und sie bezweifelte, daß sie heute viel dafür bekommen würde. Dann bemerkte sie, daß es fünfundzwanzig Minuten nach vier war, und dachte, wenn sie jetzt an der Haustüre läutete, würde Michael Taggert ihr vielleicht öffnen und ihr möglicherweise ihre Reisetasche zurückgeben, so daß sie sich eine Bleibe suchen konnte. Je früher sie diese
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