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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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einhundertundeins Jahre sehr lebendig und munter wirkte. Und sein Verstand war offensichtlich so gut wie eh und je.
    Mike zog sie an sich, so daß sie mit ihrem Rücken an seiner Brust lehnte, während nun im Fernsehen die kahlen Räume gezeigt wurden, die einmal nicht nur einen in Silber und Blau gehaltenen eleganten Nachtklub beherbergt hatten, sondern auch ein Juwel des Jugendstils gewesen waren. Jubilee erzählte nun vor der Kamera etwas über diesen Klub - von den Künstlern, die dort aufgetreten waren; von den Damen in kostbaren Pelzen und den Männern im Frack, die mit ihren Mätressen dorthin gekommen waren. Doch mit dem Massaker war das alles zu Ende gewesen, und er hatte nie mehr das Geld aufbringen können, das nötig gewesen wäre, um den Klub wieder aufzubauen und einzurichten.
    Am Ende des Interviews stellte Samantha den Ton ab und drehte sich zu Mike um. »Ist Harlem sehr weit weg?«
    »Philosophisch oder geographisch?«
    Sie schnitt eine Grimasse. »In Meilen natürlich.«
    »New York ist eine Insel, falls du das vergessen haben sollst. Hier ist nie etwas von etwas weit entfernt.«
    »Wenn ich also einem Taxichauffeur sagen würde, ich möchte nach Harlem fahren, würde er wissen, wo er mich hinbringen muß?«
    Mike sagte einen Moment lang nichts, sah sie nur unverwandt an. »Ich hoffe, du sagst mir, daß du nicht an etwas denkst, woran du niemals denken solltest.«
    Sie stand von der Couch auf. »Ich werde Jubilee besuchen, wenn du das meinst. Und ich werde es sofort tun, ehe ein anderer begreift, daß dieser Mann noch am Leben ist.«
    Mike legte ihr die Hände auf die Schultern. »Du meinst damit den maskierten Mann, der versucht hat, dich umzubringen, nicht wahr?«
    Doch daran wollte sie nicht mehr erinnert werden. »Vielleicht weiß Mr. Johnson, warum meine Großmutter in jener Nacht aus dem Klub verschwand und weshalb sie so viele Jahre später ihre Familie verlassen mußte. Vielleicht weiß er etwas, das sie von der Schuld befreit, so viel Leid und Unglück über unsere Familie gebracht zu haben. Vielleicht...«
    »Gibt es etwas auf dieser Welt, was dich von diesem Vorhaben abhalten könnte?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein, Mike. Ich würde es begrüßen, wenn du mit mir kämst, aber wenn du das nicht willst, fahre ich allein dorthin.«
    »Nach Harlem? Du kleines weißes Persönchen möchtest dich allein in diesen Teil der Stadt wagen?«
    »Ist es so schlimm, wie es eben im Fernsehen gezeigt wurde?«
    »Ja.«
    Sie schluckte und holte tief Luft. »Ja, ich werde allein dort hinfahren, wenn ich muß.« Noch während sie das sagte, betete sie im stillen, daß Mike sich bereitfinden mochte, sie zu begleiten. Tapferkeit hat ihre Grenzen.
    »Okay, zieh dich an. Aber etwas Einfaches, nichts, was ein Etikett hat.«
    Sie nickte, drehte sich um und ging hinauf in ihr Apartment, um sich etwas anderes anzuziehen.
    *
    Vor Jubilees Haus war bereits eine Menschenmenge versammelt, als Mike und Samantha dort eintrafen - nicht in einem Taxi, sondern mit einem Mietwagen, den Mike für sie besorgt hatte und der vor dem Haus auf sie warten sollte. Der Fahrer dieses Wagens war ein sehr großer Mann mit einer Haut, die so schwarz war wie Kohle, und einer Messernarbe, die am Haaransatz im Nacken begann und sich über seinen Hals bis in sein Hemd hinein fortsetzte. Der Mann schien ein Freund von Mike zu sein. Samantha lächelte ihm während der Fahrt alle paar Sekunden nervös zu, was den Mann sehr zu amüsieren schien.
    Während ihrer Fahrt nach Harlem sah Samantha nicht aus dem Wagenfenster, denn das war ihr ein zu gespenstischer Anblick. Armut von solchen Ausmaßen in unmittelbarer Nachbarschaft eines so immensen Reichtums, wie er im Zentrum Manhattans angehäuft war, überstieg ihr Fassungsvermögen.
    Als sie endlich vor Jubilees Backsteinhaus anlangten -das einzige nett aussehende Haus in der ganzen Zeile -seufzte Samantha frustriert; denn es sah aus, als käme es zu einem Tumult. Offenbar hatten die meisten Einwohner New Yorks Charles Kuralts Sendung gesehen und waren nun gekommen, um Jubilee in Fleisch und Blut zu sehen - oder um sich von ihm Geld zu leihen, ihm etwas zu verkaufen oder seine Meinung über ein Lied zu hören, das sie geschrieben oder komponiert hatten.
    Unter der Haustür stand eine große, sehr kräftig aussehende Frau mit eisengrauem Haar und einem sehr wütenden Gesicht, das einmal schön gewesen sein mußte. Sie schwang einen Besen wie eine Waffe über dem Kopf und versuchte auf diese

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