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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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würde sie das alles nicht berühren.
    Und deshalb hatte Mike Angst, daß sie eines Tages eine dieser Frauen werden könnte, von denen man so oft in der Zeitung las: eine Frau, die mit fünfzig nach einem scheinbar ganz normalen Leben plötzlich einen Selbstmordversuch unternahm. Denn eines Tages würde sie sich dem Leid und dem Schmerz, den man ihr in ihrer Kindheit zugefügt hatte, stellen müssen - würden Leid und Schmerz aus ihrem Unterbewußtsein aufsteigen und sie mit dem Entsetzen erfüllen, das sie damals, als diese Dinge passierten, verdrängt hatte.
    Mike hatte Angst um Samantha. Er fürchtete, sie könnte zu einem Vulkan werden, unter dessen Oberfläche es brodelte, bis er eines Tages explodierte. Und wenn das nicht jetzt geschah, würde er irgendwann später, wenn man es vielleicht am wenigsten vermutete, ausbrechen; denn eines Tages mußte sich ihre Seele von dem Kummer befreien, den sie jahrelang in sich hineingefressen und der sich aufgestaut hatte.
    Deshalb hatte Mike sich dazu entschlossen, die Ereignisse, die so viel Leid über sie gebracht hatten, noch einmal vor ihren Augen Revue passieren zu lassen, auch wenn er ihr jetzt erzählte, daß es ihm nur um die Wahrheitsfindung ginge. Doch er, Kane, wußte es besser. Wenn es nach Mike ginge, würde er die Finger von all dem lassen, wäre er froh, nie mehr etwas von Doc und Maxie hören zu müssen. Denn er hatte schon lange die Lust daran verloren, diese schrecklichen Dinge auszugraben, die vor über sechzig Jahren passiert waren. Jetzt ging es ihm nur noch um Samanthas Gesundheit und zukünftiges Wohlergehen. Und wenn es eine Möglichkeit gab, ihr zu helfen und ihr zu verschaffen, was sie brauchte, dann würde er das auch tun, und wenn es noch so viel Geld und Zeit kosten sollte.
    Es fiel Mike nicht leicht, Sam dieser Prozedur auszusetzen. Er vermutete, daß es für sie qualvoll sein würde, aber sein Instinkt sagte ihm - oder vielmehr seine tiefe, selbstlose Liebe zu ihr, dachte Kane bei sich -, daß dies die einzige Methode war, die Samantha den Seelenfrieden verschaffen konnte, den sie so dringend nötig hatte.
    Und weil er sie als die einzige Möglichkeit erkannte, Samantha von ihrem Trauma zu befreien, würde er ihr auch alles erzählen, was nötig war, um sie zu einer aktiven Teilnahme an diesem Schauspiel zu bewegen. Er konnte ihr ja schwerlich sagen, daß er überzeugt war, der Anblick von Blut, Leichen und Grausamkeiten, die jene Gangster begingen, um ihre Familie zu dezimieren, würde ihr guttun. Und deshalb erzählte er ihr, daß dieser Abend nichts anderes sein sollte als eine willkommene Zerstreuung für seine Familie.
    Mike log natürlich, was Samantha ihm, wie Kane wußte, so oft vorzuwerfen pflegte, aber Mike hatte ihm erzählt, daß sich Samantha niemals aktiv an diesem Drama beteiligen würde, wenn sie glaubte, es würde nur ihretwegen veranstaltet. Sie würde das nur für Mike tun, aber niemals für sich selbst.
    Schweigend hörte Kane zu, wie sein Bruder nun sein Lügengewebe zu spinnen begann und Sam erklärte, daß ihm dieser Abend auch, wie er hoffte, letzte Aufschlüsse darüber geben würde, was Jubilee und H.H. ihm bisher verschwiegen hatten, damit er sich endlich seinen Lebenswunsch erfüllen und diese Biographie schreiben könnte. Doch Kane wußte es besser, und er war noch nie so stolz auf seinen Bruder gewesen wie in diesem Moment. Und da Mike von den Augen seines Bruders immer ablesen konnte, was er gerade dachte, sah er errötend zur Seite, lächelte aber dabei, weil er sich über das unausgesprochene Lob seines Bruders freute.
    *
    Nachdem Samantha sich angehört hatte, was Mike ihr zu sagen hatte, hätte sie sich wahrscheinlich auf ihren Hosenboden gesetzt, wenn sie nicht bereits gesessen hätte. »Und wo sollen wir die Zuschauer hernehmen, die sich diese Inszenierung ansehen?« fragte sie mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen. »Und wie willst du die vielen Rollen, die das Schauspiel erfordert, besetzen? Und selbst wenn du genügend Leute dafür findest, würde es Monate dauern, das Stück einzuüben.« Der Satz, daß Maxie nicht mehr so viel Zeit haben würde, schwebte nun, wenn auch ungesagt, im Raum.
    »Wir nehmen unsere Verwandten dafür«, antworteten da die beiden Brüder wie aus einem Mund - eine Angewohnheit der beiden, an die sie sich allmählich zu gewöhnen begann.
    »Mike«, sagte Samantha, »ist dir bewußt, daß du dafür mehr als hundert Leute brauchst, die in Kostümen aus den zwanziger Jahren

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