Jene Nacht im Fruehling
Daphne sehr eigenartige Ansichten vom Leben hat.«
»Nein«, erwiderte Samantha, sich mit einer Kopfbewegung von seiner Hand befreiend. »Es ist ein langer, anstrengender Tag gewesen, und ich möchte ins Bett gehen. Das ist alles.«
Mike sah sie an. Ohne sich zu bewegen, ohne sie zu berühren, nahm sein Gesicht den Ausdruck eines so großen Verlangens an, daß Samantha spürte, wie ihre Haut ganz heiß wurde. »Auch ich würde jetzt gern ins Bett gehen«, sagte er leise.
Samantha wich einen Schritt von ihm zurück.
Da verwandelte sich Mikes Gesicht, wurde aus dem Begehren plötzlich Zorn: »Was hat Ihnen den Sex so gründlich verleidet, Samantha?« fragte er und sprach ihren Namen so aus, als wäre sie das Synonym für Prüderie.
Das brachte sie zum Lachen, und damit war auch die Versuchung, die soeben an sie herangetreten war, überwunden. »Männer sind so leicht durchschaubar«, sagte sie. »Ob Generaldirektor oder Tankwart - sie sind alle gleich. Weil ich nicht mit Ihnen ins Bett gehen will, glauben Sie, ich wäre frigide oder ein Opfer von Notzucht oder Blutschande. Zu Ihrer Information, Mr. Taggert: Niemand hat mir den Sex verleidet. Aber Sie mit Ihrem ständigen Begrapschen und Ihren kleinen vulgären Anspielungen sind auf dem besten Wege dazu. Warum fragen Sie nicht eine von diesen Frauen dort draußen, ob sie mit Ihnen ins Bett gehen möchte?« Sie deutete mit dem Kopf auf die weiblichen Gäste jenseits der Terrassentür. »Oder begehren Sie nur Frauen, die nicht mit Ihnen schlafen wollen? Ist das eine Herausforderung, die Sie reizt? Und wenn Sie eine Kerbe mehr in Ihren Bettpfosten schnitzen, bekommen dann die Frauen, die zum wiederholten Male >nein< zu Ihnen gesagt haben, noch einen Stern zu ihrer Kerbe?«
Mike blickte sie bestürzt an. »Was, in aller Welt, habe ich Ihnen getan, daß Sie eine so schlechte Meinung von mir haben?«
Sie wußte, daß sie ihn unfair behandelte; denn er war den ganzen Tag über sehr nett zu ihr gewesen. Er hatte ihr an einem einzigen Tag mehr Zeit gewidmet als jeder andere Mensch seit dem Tod ihrer Mutter, doch sie hatte ihm Grobheiten an den Kopf geworfen, weil er es gewagt hatte, ihr Avancen zu machen. Aber mußte man das nicht von jedem Mann erwarten? Daß er zumindest versuchte, eine Frau herumzukriegen?
Vielleicht waren seine Güte und seine ständige Aufmerksamkeit das Problem. Vielleicht wollte sie nicht, daß jemand ihr soviel Beachtung schenkte.
»Ich entschuldige mich«, sagte sie, »und ich möchte mich für den heutigen Tag bedanken. Daß Sie mich in dieses Kaufhaus geführt, mich ihrer Kusine vorgestellt und .. .«
»Ich verzichte auf Ihr Dankeschön«, unterbrach Mike sie wütend, ehe er sich umdrehte und aus der Küche stampfte.
Samantha verharrte einen Moment regungslos auf der Stelle und ging dann die Treppe hinauf in ihre Wohnung. Sie zog sich langsam aus, hängte ihr schönes neues Kostüm sorgsam auf einen Bügel und lehnte sich einen Moment gegen die geschlossene Tür. Manchmal wünschte sie sich, daß sie weinen könnte. Daß sie sich hinsetzen und losheulen könnte, wie das anderen Frauen offenbar vergönnt war. Aber so sehr sie sich auch danach sehnte: Samantha wußte, ihr würden keine Tränen kommen.
Nachdem sie sich gewaschen und das Gesicht eingekremt hatte, zog sie ihr Nachthemd an und ging zu Bett. Im Lichtschein, der aus dem Garten heraufdrang, konnte sie die Umrisse der Möbel ihres Vaters sehen. Tief Luft holend, lächelte sie ein bißchen, denn es war gut, seine Sachen um sich zu haben - sehr gut sogar.
Dann schlief sie ein und wachte irgendwann in der Nacht von dem grellen Licht eines Blitzes auf, der ihr Zimmer erhellte. Im Rollen des Donners konnte sie noch ein Geräusch ausmachen, das ihr allmählich vertraut wurde: Mike tippte auf der Schreibmaschine. Sich ruhiger fühlend, schlief sie wieder ein.
Samantha wachte um sieben Uhr morgens auf, aber der Regen, der vor den Fenstern sacht vom Himmel rieselte, weckte in ihr den Wunsch, noch im Bett zu bleiben. Sich in die Decken einmummelnd, schlief sie wieder ein. Schließlich war es Samstag. Warum sollte sie da so zeitig aufstehen?
Als sie um halb zehn zum zweitenmal erwachte, war ihr erster Gedanke Daphnes Warnung, daß Mike ein Herzensbrecher sei. Samantha wollte sich nicht noch einmal das Herz brechen lassen. Nach einem beruhigenden Blick auf die Möbel ihres Vaters lächelte sie und schlief erneut ein.
Um elf Uhr wurde sie von einem kurzen Klopfen an ihre Schlafzimmertür
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