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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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Teufel, bei Wasser und Brot!« Und den Bettsack nahm er dem Zwölfjährigen weg und ließ ihn in seinen Wundschmerzen auf den nackten Brettern allein. Auch starrte der Geißler immer wieder auf den Kasten, wo er das aufgefundene Terzerol eingeschlossen hatte, und zischelte, keifte dabei: »Ein Verbrecher ist er! Ein Mörder! Im Zuchthaus wird er enden! Oder es kommt noch schlimmer mit ihm!«
    Und die Marei, die fragen, vielleicht sogar trösten wollte, ließ er nicht an den Buben heran. Machte vielmehr auch ihr das Leben zur Hölle, weil sie ihm den Falotten {33} ins Haus gebracht hatte. Hielt ihr von da an und bis an sein Lebensende tagtäglich den Bankert vor. Hielt seinen eigenen, wohlgeratenen Sprößling dagegen. Den Hans, fünfzehn erst, aber schon so zuverlässig wie ein Ausgewachsener. Gottgefällig und fromm dazu. Während man den Hundsteufel schon immer in die Kirche habe prügeln müssen. Da siehst du’s, sagten die Augen des Dunklen höhnisch, wenn der Girgl Abend für Abend auf seinem Scheit litt. Ich bin der Sohn, du nicht. Und der Zwölfjährige begann ohne Reue an den Scheunenbrand zu denken, begann auch nach dem Terzerol zu gieren, an das er jetzt ums Verrecken nicht mehr herankommen konnte. Daß er dem Hans und dem Geißler ohne Bedauern eine Kugel zwischen die Augen jagen könnte, redete er sich ein. Das malte er sich aus während seiner barbarischen Pönitenz. Zuletzt aber, nachdem zumindest seine körperlichen Wunden zu vernarben anfingen, begann ihm eine andere Rachemöglichkeit durch den Schädel zu irrlichtern.
     
    *
     
    Silbrig unterm tief hängenden Mond gurgelte die Loisach daher. Drüben, am anderen Ufer, reihten sich die Heumandl gleich schemenhaften Gnomen. Georg Jennerwein, im Rucksack den entwendeten Brotlaib und das Geselchte, atmete unsäglich befreit ins zaghafte Windstreichen hinein. Dann nahm er entschlossen seinen nächtlichen Weg unter die Füße; weg von daheim, in die Fremde, für immer.
    Flußaufwärts lief er meilenweit bis zum Morgengrauen. Fand in der Nähe von Iffeldorf einen hohlen Erlenstamm und verkroch sich darin. Bis gegen Mittag schlief er wie ein Tier im Mulm, aß später heißhungrig, schöpfte sich Wasser aus der Loisach, rüsselte und dämmerte wiederum bis zum Abend. In der zweiten Nacht erreichte er die Gegend bei Kochel am See. Unter dem Mond stand schattenrissig die Benediktenwand, wuchs sachte empor, je näher er kam. Im Sonnenaufgang dann leuchtete ihm der Berg wie ein Fanal. Das Lichtglühen, schartig auf dem Kamm, schnitt ihm wie eine ungeheuerliche Befreiung ins Herz. Dort hinauf! dachte er – und dachte gleichzeitig schon gar nicht mehr an Gelting. Eine Freiheit rief ihn, die er bislang nur aus der Verzweiflung heraus hatte erahnen können. Am liebsten wäre er hinaufgestürmt, in einem Anlauf bis auf den höchsten Gipfel. Doch dann wummerte ihm, zusammen mit der Erlösung, urplötzlich die Müdigkeit durch den Körper, durchs Gehirn, und er schlief ein in einem Findlingsschatten, während die Sonne über dem Kochelsee zu brennen begann.
    Als sie ihn wiederum gegen Mittag weckte, fand er es nicht länger nötig, sich vor den Menschen zu verbergen. Unendlich weit entfernt kam ihm nunmehr das Geißlersche Gütl vor; in einer ganz anderen Welt schien es ihm zu liegen, in einer alptraumhaften. Doch hier, über dem Seespiegel, der Berg. Die Verheißung mit Matten und Karen und ganz oben den unbändigen Schroffen. Georg Jennerwein, kaum hatte er ein paar Bissen zu sich genommen, ging die Benediktenwand entschlossen an.
    Er folgte einem Pfad, der von Jägern, Sennen und Gebirgsrindern ausgetreten worden war; von nächtlich ziehendem Rotwild gelegentlich vielleicht auch. Drunten spiegelte sich der See im Lauf des Nachmittags tiefer und tiefer ins Land. Einmal hörte der Halbwüchsige ein Murmeltier pfeifen, sah es blitzschnell wegwischen. Wie ich, dachte er; mich fängt auch keiner mehr ein! Als die Sonne schon tief über dem jenseitigen Ufer des Kochelsees stand, erblickte Georg Jennerwein die Almhütte. Auf dem steindurchtrümmerten Weidegrund begannen die braunen Gebirgsrinder gerade das Grasen einzustellen und sich gemächlich zur Tränke und zum Melkplatz hinüberzuziehen. Der Zwölfjährige folgte den Tieren, und der Senn, ein Alter, Verwitterter, dem die Nase wie ein Habichtsschnabel im Bartgewirr stand, blickte ihm ohne Arg entgegen.
    Es war ein wortloses Zusammenkommen, ein gebirglerisches eben. Ein Raunzer des Grauen, ein schüchternes Lächeln

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