Jennerwein
noch einen Stamper, ehe er begann: »Den Mentenseppei hat man ihn geheißen, ein junger Bauernbursch war’s, aus Hausham. Der hat halt auch einmal einen Braten haben wollen und hat sich deswegen einen geschossen. Hat aber Pech gehabt und wenig Erfahrung. Hat den Revierförster Johann Mayr aus Gmund nicht gesehen, wie der ihm nachgeschlichen ist. Und der Mayr hat den Seppei gestellt, hat ihn angerufen, und dann hat der arme Bauernbursch den zweiten Blödsinn gemacht. Hat das Gewehr angeschlagen, obwohl er gar keine Kugel mehr im Lauf gehabt hat. Der Jäger aber hat scharf geladen gehabt, und so hat’s den Seppei in den Schnee geworfen, tot…«
»Und der Herrgott sei seiner Seel’ gnädig, nicht aber der des verfluchten Jägers!« raunzte der Senn. In der Rage schob er dem Zwölfjährigen das Enzianglas zu; der Halbwüchsige stutzte, trank, hustete, fühlte sich gleich darauf unendlich warm und geborgen. Ins Schlieren, das ihm plötzlich durchs Gehirn waberte, drang erneut die rauhe Stimme des Gangerl: »Für die Strafe am Mayr hat’s keinen Herrgott gebraucht! Weil der Seppei sieben Freunde gehabt hat. Sieben gestandene Mannsbilder, die sich einen Dreck um die Gesetze der Großkopfeten geschissen haben. Wär’s nach den Paragraphen gegangen, dann wäre der hinterlistige Hund wahrscheinlich ungeschoren davongekommen. Aber die sieben Bauernburschen haben das Recht lieber in die eigenen Hände genommen…«
Georg Jennerwein, den Schnaps im Blut, das Flirren, Rauschen und phantastische Ausufern im noch halbkindlichen Schädel, meinte auf einmal, alles leibhaftig vor sich zu sehen, was der Wildschütz jetzt weiter von sich gab. Ein Novembertag in jenem Jahr 1833 wurde ihm lebendig, ein Hochtal in den Tegernseer Bergen, wo der Wald eher schütter stand. Der Girgl erlebte mit, wie das Gerücht ausgestreut wurde, daß in jenem Tal im Grund bei Gmund eine Wilderertreibjagd stattfinden solle. Als der Revierförster Mayr seinen starken Hund anleinte, seine beiden Gehilfen Johann Probst und Nikolaus Riesch alarmierte, bebte Georg Jennerwein gleich den sieben in der rebellischen Vorfreude. Auf den Grund sah er die drei wittelsbachischen Jäger ziehen, sah gleichzeitig die vermummten Burschen im windverworfenen Wald lauern. Und dann der Waldhofer Hansl frech aus dem Forst, mit dem Stutzen unterm Arm und dem Ruß im Gesicht, und der Schweißhund von der Leine und auf den Hansl zu.
Durchs Enzianwabern das Zuschnappen des Viehs. In Arm und Brust des Hansl verbissen der Rüde, und dann auch die Jäger da, die noch viel gefährlicheren Sauhunde. Ehe die aber den Lockvogel zu packen vermochten, aus dem Hinterhalt heraus die anderen sechs Rächer. Die hatten keine Schußwaffen bei sich, aber mordsmäßige Prügel. Und diese Keulen schnalzten jetzt gegen den Mörder und seine Komplizen, droschen ihnen die Büchsen aus den Händen und droschen ihnen ins Fleisch, bis es platzte, droschen weiter, daß die Knochen krachten, splitterten. Beim Kampf auf Leben und Tod mischte der Girgl mental mit; die Fratze des Försters und die des Geißler wurden ihm unversehens eins. Im eigenen Blut blieben die Gmunder Jäger zuletzt liegen, färbten mit ihrem Saft den Schnee ein, grellrot; fürchterlich hatte es den Mayr erwischt, der röchelte jetzt bloß noch. Überhaupt kein Lebenszeichen mehr gab der Riesch in seiner Ohnmacht von sich. Der Probst krümmte sich wimmernd. Die Rächer flüchteten, vom Talboden herauf schlichen etliche ältere Bauern heran. Weil sie in ihrer Barmherzigkeit nicht anders konnten, brachten sie die Jäger heim. Der Riesch, aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht, rappelte sich noch einmal auf die Beine, fiel einen Atemzug später tot um. Der Probst kam später wieder auf. Der Revierförster Mayr, der Meuchelschütze, kämpfte vier Monate lang im Spital um sein Leben, dann begrub man auch ihn. Die sieben wurden nach und nach festgesetzt, verrieten aber nichts, hielten zusammen wie Pech und Schwefel und mußten zuletzt freigesprochen werden. {36}
»Und so ist’s zu einer höheren Gerechtigkeit als der wittelsbachischen gekommen«, lallte der Gangerl über die Enzianflasche hin. Georg Jennerwein, aus seiner Rauschvision herausschauernd, nickte begeistert. Der Wildschütz, mit seiner Geschichte, hatte ihm das schönste und erregendste Geschenk seines jungen Lebens gemacht. »Ich, wenn ich damals schon gelebt hätte, ich wär’ dabeigewesen!« sagte der Halbwüchsige mit schwerer Zunge.
»Ich glaub’s dir, wegen der Wut in
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