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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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sicheln schien. Auf der Ofenbank hatte der Senn schmaläugig vor sich hin gebrütet, jetzt fuhr er plötzlich auf. Einen Lidschlag später vernahm auch der Girgl das Schleichen draußen. Heiß schoß ihm etwas durch die Adern und verscheuchte das andere; im selben Augenblick wurde die Tür aufgedrückt, schob sich ein Schatten herein. Ruß im Gesicht hatte der Gangerl und eingetrocknete Blutflecken an der Kotze. Als er den Zwölfjährigen erblickte, ruckte sein kurzläufiger Stutzen natternschnell hoch. Unwillkürlich wich Georg Jennerwein zwei, drei Schritte zurück. Hörte aber dann den Senn rufen: »Der gehört jetzt hierher! Der hält schon sein Maul!«
    »Wenn du’s sagst!« Der Gangerl stellte die Büchse ab, aber in Reichweite. Warf die Kotze über die Kaminstange, zerrte sich den Rucksack vom Buckel. »Einen Schlegel vom Bock für dich«, wandte er sich an den Habichtsnasigen. »Dafür lass’ ich das andere ein paar Tage lang in der Steingrube draußen. Damit ein bißchen Gras drüberwachsen kann.« Er lachte. »Drüben am Hinterbichl hat das Prachtstück gestanden. War ein sauberer Schuß, da verreckst!«
    »Mitten ins Blatt«, bestätigte der Alte wenig später sachverständig, während der Wildschütz den Gamsschlegel auslöste. Als er das Messer schlitzen sah, weiteten sich die Nüstern des Georg Jennerwein erregt. An eine andere Jagd dachte er, bei Tattenkofen, vor ein paar Jahren. Damals hatte er gegen die schießwütigen Großkopfeten, die Herausgefressenen aufbegehrt, hatte sich gewünscht, selbst ein Gewehr zu führen.
    Jetzt, aus der Sichelmondnacht heraus, war einer gekommen, der hatte genau das gewagt. Hatte sich das Gesicht eingeschwärzt, den Stutzen genommen und den Fangschuß angebracht. Teilte jetzt die Beute mit ihm und dem Alten. Ließ den Reichen kein Köttel zukommen, aber den Armen einen ganzen Schlegel. »Du!« machte sich der Girgl an den Wilderer heran. »Du, wenn ich groß bin, will ich so einer werden wie du!«
    »Bis dahin mußt noch zwei oder drei Spannen wachsen«, gab der Gangerl, aufgeräumt nunmehr, zurück. »Jetzt schau erst einmal, daß du den Schlegel gut versteckst. Am besten auf dem Heuboden droben!«
    Der Zwölfjährige gehorchte; mit dem nun dreiläufigen Bock verschwanden der Senn und der Gangerl nach draußen. Nachdem alles Wildpret vor den Augen möglicherweise nachsuchender Jäger verborgen war, stellte der Alte die Enzianflasche auf den Tisch. Der Girgl, unter der entsetzlichen Fuchtel eines Säufers aufgewachsen, zuckte zunächst innerlich zurück. Dann aber, als er merkte, daß das Trinken hier auf der Alm anders ablief, rückte er den beiden Männern seelisch wieder näher, fühlte sich zuletzt sogar geborgen im Lärmen und herben Gebirgskräuterdunst.
    »Jedes Jahr fünf, sechs Böck’, die bringt der Gangerl schon zusammen«, polterte der Senn. »Steigt höher hinauf als die Jäger, lockt sie auf die falschen Fährten, und dann wischt er ihnen eins aus. Knallt ihnen die Krickel weg vor der Nase. Auf den Almen heroben, in den Dörfern unten haben die Leut’ dann das Fleisch im Topf. Diejenigen, die der Gangerl mag, fressen’s umsonst. Dafür zahlen aber die Urlaubsgäste kräftig, denn den einen oder anderen Wirt, der die Hand nicht umdreht, kennt der Gangerl selbstverständlich auch.«
    »So muß es auch sein«, lachte der Wildschütz. »Bloß auf diese Weise gibt es eine Gerechtigkeit. Freilich war’s früher mit dem Freischießen noch viel besser als heutzutage. Im ganzen Gebirg’, von Partenkirchen bis Tölz hinüber, bin ich eh schon fast der einzige, der sich noch traut.« Seine Augen verdüsterten sich; er stierte ins Schnapsglas, setzte dann dumpf hinzu: »Mich wenn einmal ein Jägerblei erwischen tät’, mich tät’ keiner rächen. Wär’ nicht mehr so wie im 33er Jahr im Grund bei Gmund am Tegernsee…«
    Rächen! Noch hellhöriger als ohnehin schon hatte dieses eine Wort den Girgl urplötzlich gemacht. Ohne daß es ihm wirklich bewußt wurde, umklammerte er den Unterarm des Eingeschwärzten. »Wovon redest du? Was meinst du damit?« sprudelte es aus ihm heraus.
    »Um die Jägerschlacht geht’s«, murmelte der Senn fuselselig. »Damals haben es die Kleinen den Grünröcken gezeigt. Da sind etliche große Adelsherren im Dreieck gesprungen. Weil sich alles ausgerechnet im Wittelsbacher Revier zugetragen hat. – Auf geht’s, Gangerl! Erzähl dem Buben, wie’s gewesen ist, damals am Tegernsee drüben!«
    Der Wildschütz von Kochel brauchte

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