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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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deinen Augen«, erwiderte der Gangerl.
    »Und jetzt schütten wir noch einen drauf«, forderte der Senn. »Auf die Freischützen von Gmund! Weil sie sich nichts haben gefallen lassen!«
    Und wieder das Fuselbrennen in der Kehle des Zwölfjährigen; dann, plötzlich, wußte er von gar nichts mehr. Spät am nächsten Morgen, als Georg Jennerwein mit dröhnendem Schädel zum Brunnen wankte, war der Gangerl längst wieder verschwunden. Das Faszinierende aber, das von dem Geschwärzten ausgegangen war, blieb dem Girgl im Schädel und im Herzen haften; auch dann noch, als er wieder klar und nüchtern zu denken vermochte.
     
    *
     
    Drei Tage waren ihm auf der Alm noch vergönnt, der eine oder andere Bissen schwarz geschossenes Wildpret dazu. Dann tauchte plötzlich der Gendarm von Kochel auf dem Weidegrund auf. Der Senn und sein Gehilfe befürchteten zunächst, daß vielleicht einer den Gangerl verraten hätte, daß man deswegen jetzt auch ihnen ans Leder wollte. Doch statt dessen packte der Uniformierte den Girgl am Kragen, beutelte ihn und herrschte ihn an: »Zu Gelang, von deinem Stiefvater, bist ausgerissen, gib’s zu!«
    Die Urlauber aus München hatten den Zwölfjährigen hingehängt, unten im Tal. Wenig später war dann auch der Steckbrief aus Wolfratshausen gekommen. Georg Jennerwein versuchte das Leugnen erst gar nicht. Es hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Er bettelte bloß, daß er nicht heimmüsse, daß er auf der Alm bleiben dürfe.
    Dies konnte der Gendarm nicht gestatten. Während der verdatterte Hirte sich einmal mehr aus der Enzianflasche stärkte, führte der Uniformierte den Zwölfjährigen ins Tal. Per Schub brachte ein anderer Büttel den Buben nach Gelting zurück. Ein Heimkehren war es beileibe nicht, eher ein Zurückstürzen in die Verzweiflung. Da half es auch nicht, daß sich der Girgl tief drinnen in der Seele doch über das Wiedersehen mit der Mutter freute. Denn in der Stube wartete drohend schon der Angenagelte. Und unterhalb des Geschundenen, auf den Dielen, die Scheiter. Der Lederriemen des Geißler auch, als der Uniformierte nach ausufernden Ermahnungen wieder verschwunden war. Und der böse Spott in den Augen des Hans.
    Georg Jennerwein, während er abgestraft wurde wie nie zuvor, rettete sich zurück in den Enziandunst, in die Erinnerung an den Gangerl und an die Jägerschlacht. Während ihm die Geißlerschen Litaneien und mörderischen Erziehungsmaßnahmen ins Fleisch bissen, brachte er eigenhändig den hundsgemeinen Mayr tausendmal um.
    Später dann, als er es überstanden hatte, als er bloß noch der Aussätzige war, schwor er sich, daß er wieder weglaufen würde. Bloß vierzehn Jahre alt mußte er erst werden. Das war die Schwelle, über die er hinwegmußte. Denn mit vierzehn war es üblich, daß sich die Armeleutekinder auswärts im Taglohn verdingten.

Ausbruch
     
    Im fränkischen Bamberg hockte der Griechenkönig plötzlich und glotzte dumm aus der seidenen Wäsche. Die Hellenen hatten Otto, dem Sohn Ludwigs I. von Bayern, das Scherbengericht bereitet, hatten ihn nach dreißigjähriger Fremdherrschaft zum Teufel gejagt. {37} Während einer Lustreise des Gesalbten über den Peloponnes war es geschehen; der Militärputsch war schnell und leidlich unblutig über die Bühne gegangen. Zwischen Alpen und Main, nachdem der Abgehalfterte vergrätzt eingetroffen war, schimpfte man an den Stammtischen auf die hinterfotzigen Ausländer: »Undankbares Gschwerl! Gesindel! Ketzerbrut, griechisch-orthodoxe!« Dank des geschaßten Wittelsbachers hatte das Volksempfinden in diesem Herbst 1862 endlich wieder einmal rassefremde Prügelknaben gefunden.
    Ins Exil, allerdings ins ersehnte, war in diesem Jahr auch der Prügelknabe von Gelting gelangt. Gleich nachdem der Märzwind zu pludern begonnen hatte, hatte er das Gütl ohne das geringste Bedauern verlassen. Tückisch belfernd – »Ist das jetzt der Dank?!« – hatte der Geißler es hingenommen, hämisch der Stiefbruder, mit wehen Augen die Mutter. Von der Alten hatte der Girgl sich im Vorbeistreichen am Friedhof verabschiedet. Dann hatte er bloß noch danach getrachtet, daß ihm das verhaßte Nest endlich aus den Augen gekommen war.
    Nach Osten war der Vierzehnjährige gewandert, wie unter einem Zwang seiner allerersten unglückseligen Heimat zu. Zu Haid dann waren ihm die Lippen jäh dünn und blutleer geworden. Das Häusl, in dem der Großvater sich zu Tode gesoffen hatte, war halb zur Ruine geworden. War ganz offensichtlich vom Regen

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