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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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in die Traufe geraten. Einen Buben hatte Georg Jennerwein erspäht, der hatte noch abgerissener gewirkt als damals er selbst. Eigentlich hatte er einsprechen wollen unter dem noch immer so seltsam vertrauten fremden Dach. Aber dann hatte er es lieber gelassen, war weitergelaufen, über Großhartpenning hinaus und in die Nacht. Und war trotzdem, vom Frühling bis zum Herbst, nicht losgekommen von der eigenen erschütternden Vergangenheit, von der Kindheit.
    Im Taglohn, wiederum wie früher, zu Dietramszell, Schlickenried, Linden, Erlach und Otterfing. Später im Jahr dann das magere Brot zu Föching und Valley. Jetzt, da ausgedroschen war, hatte der Bursche zumindest ein bißchen Geld im Sack. Auf der anderen Seite dräute allmählich der Winter; die faule Zeit schickte sich an, auf den Dörfern Einzug zu halten; die Monate, in denen die Bauern keine Tagelöhner brauchten, in denen sie auf das Gesocks spuckten.
    Im Wirtshaus zu Valley hockte der Girgl, vor einem Krug Scheps {38} . Rief sich versuchsweise den Weg zurück nach Gelang ins Gedächtnis. Schreckte aber dann doch davor zurück, unterm höhnischen Keckem des Geißler zu Kreuze zu kriechen, buchstäblich. Auch wenn er sich jetzt, da die Nebel zuzeiten schon so grauenhaft tief hingen, oft nach der Mutter sehnte. Weihnachten vielleicht, dachte er, und bis dahin muß ich irgendwo noch ein anderes Brot finden. Er trank, trotzig; als er den Steinkrug wieder absetzte, flog die Tür auf, und in die verräucherte Gaststube polterten drei, vier Holzknechte. Die Kellnerin, bisher eher mißmutig an diesem tristen Novembertag, gab sich auf einmal aufgekratzt. Überschäumende Maßkrüge schleppte sie herbei, Geselchtes, Brot; bald auch tänzelte sie mit der Enziankruke {39} heran. Vom Flößen auf der Mangfall hörte der Vierzehnjährige die Schnauzbärtigen, die Lederbehosten schwadronieren, von Weibern erzählten sie, von Besäufnissen, dann auf einmal vom Baumfällen weiter südlich im Gebirge. Auf die Äxte und die Zugsäge schielte der Girgl; auf das ungeheuerliche Werkzeug, das im blinkenden Bündel neben dem Türstock lehnte. Zuletzt, als die Holzknechte schon ziemlich rauschig waren, fiel unvermittelt das Zauberwort: Gmund.
    Den Gangerl meinte der Vierzehnjährige wieder vor sich zu sehen, den habichtsnasigen Senn dazu; im Schädel aber begann ihm unwiderstehlich eine wilde Geschichte zu schwirren. Von seinem Katzentisch drängte, trieb es ihn hinüber zu den poltrigen Zechern; erst schlug ihm bloß das Nichtbeachtetwerden entgegen, als er sich mit seinem Schepskrug auf die Bank zwängte, aber dann wurden die Holzknechte jäh aufmerksam auf ihn, weil es nämlich wie gehetzt aus ihm heraussprudelte: »Nach Gmund geht ihr?! Wo die Jägerschlacht war!«
    »Schaut euch den vorlauten Burschen an!« versuchte einer der Dreibastigen {40} ihn zu kitzeln. »Was weißt denn du von der Sach’, du Springginkerl {41} ?«
    »Hab’ einen gekannt, der hat’s mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich am Förster und seinen Jägern gerächt haben«, log der Girgl. »Gangerl hat er geheißen und war von Kochel drunten…«
    »Von dem hab’ ich auch schon einmal läuten hören«, versetzte ein anderer der Holzknechte. »Kellnerin, eine frische Maß für den da! Der ist der Freund von einem Freischützen!« Er lachte meckernd, hieb dem Halbwüchsigen derb auf die Schulter. »Aber ehrlich verdienen mußt du dir das Bier schon, gell! Ganz genau wollen wir’s jetzt einmal von dir wissen, wie’s damals im Grund bei Gmund abgelaufen ist!«
    Georg Jennerwein ließ die Männer freilich noch zappeln. Wartete zunächst die Rückkehr der Kellnerin ab, stärkte sich dann ausgiebig aus dem spendierten Krug. Der Scheps vorhin hatte kaum Wirkung gezeigt, doch nun hämmerte ihm der weiche alkoholische Schlag jäh durchs Gehirn. Und löste die Bilderflut aus, ganz wie damals auf der Alm. Der Vierzehnjährige malte den Holzknechten das Bild aus seiner fundamentalen Wut auf alle Großkopfeten, auf alle Respektspersonen, auf alle Obrigkeit. Die Wildschützen stellte er mit begeisternden Worten als Helden dar; die Jäger ließ er nicht nur in der Agonie, sondern in wahren Blutsümpfen sich wälzen. »Verrecken müssen sie eines Tages alle!« schloß er. »Nicht bloß die vom Tegernsee, sondern auf der ganzen Welt! Im 33er Jahr ist’s schon angegangen! Das merkt euch, weil, so hat’s der Gangerl gesagt!«
    Der Beifall war ihm gewiß. Zielsicher ins Unterschwellige hinein hatte er bei den

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