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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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die Silbermünzen für sechs Wochen Schuften in die Hand zählen. »Kommst nach Neujahr wieder her?« fragte ihn der, welcher ihm damals zu Valley den ersten Krug Bier spendiert hatte.
    »Wo gehst denn überhaupt hin, zum Christfest?« wollte ein anderer wissen, der unter ihm im Stockbett geschlafen hatte. Der Vierzehnjährige wußte auf die eine Frage keine Antwort und auf die andere auch nicht. War einfach mitgelaufen zum Löhnen, hatte noch gar nicht über die nächste Zukunft nachgedacht. Jetzt aber, da man sichtlich Heimatdrang von ihm erwartete, fühlte er sich auf einmal mental dermaßen getrieben, daß er hastig erwiderte: »In Gelting warten sie ja auf mich! Muß eh schauen, daß ich es noch schaff bis zur Mettennacht. Was nachher wird, ich weiß nicht, aber vielleicht komm’ ich ja wieder…«
    So hatte er ausgesprochen, was ihm von selbst überhaupt nicht in den Sinn gekommen wäre. Aber noch während des Redens, des hastigen Murmelns war ihm ein Gedanke jäh verlockend geworden: Daß er dem Geißler jetzt ein schönes Stück Geld hinhauen könne auf den Tisch. Um es dann gleich wieder in den Hosensack zu schieben. Bloß, damit der Betbruder es fressen mußte, daß er, der Aussätzige, sich fast ein ganzes Jahr lang auf eigene Faust durchgeschlagen hatte. Das war es, was ihn dem Aufbrechen jetzt plötzlich förmlich entgegenfiebern ließ. Und, uneingestanden freilich, die Sehnsucht nach der Mutter dazu.
    Den ersten Tag lief er bis Dietramszell, durch den Schnee und vorbei an den flachgefegten Feldern, gegen den Nordwind. In die nahe Großhartpenninger und Haider Gegend schielte er an diesem Abend bloß hinüber, ehe er sich in einer Feldscheune im Heu verkroch. Frostklamm taumelte er am nächsten Morgen weiter; es dauerte lange, ehe ihm die Glieder wieder geschmeidig wurden. In der frühen Dämmerung dann sah er endlich das Erlengestrüpp entlang der Loisach vor sich, dahinter den Nadelspitz der Geltinger Filialkirche. Er spürte den Hunger und gleichzeitig gallig wieder das andere im Magen. Die letzte Viertelmeile legte er mit zusammengebissenen Zähnen zurück. Und platzte in die Gütlerstube genau in dem Moment, in dem die anderen wieder einmal ausufernd am Beten waren.
     
    *
     
    Ungut ließ sich die verdatterte Heimkehr also an. Und ungut ging es weiter, denn kaum hatte die Mutter nach dem Amen es endlich gewagt, ihm eine Brotzeit herzurichten, fiel der Geißler auch schon wieder über ihn her: Wo er sich herumgetrieben habe die ganze Zeit? Unter Huren und Lumpen wahrscheinlich! Und sein Geld, das habe er doch ganz gewiß verpulvert!
    Da tat Georg Jennerwein, was er sich vorgenommen hatte, und zählte dem anderen seinen gesparten Lohn hin. Schielte dabei auf die Mutter, auf die Anerkennung. Erntete aber nichts weiter, als daß die Marei ihm heimlich zunickte – und daß der Geißler die Hälfte der Münzen einsäckelte, ehe der Girgl sichs versah. »Hast eh mehr Schulden bei mir, als du jemals bezahlen kannst«, grinste der Alte dabei über gelblichen Zähnen. »Denk an die Scheune! Und das Essen, jetzt, wo du wieder da bist, kostet mich auch einen Batzen…«
    Georg Jennerwein nahm es – wild im Herzen, dennoch stumm – hin. Stand später auch den Mettenabend irgendwie durch. Am ersten Feiertag jedoch, während in der Stube wieder das Lamentieren, das Litaneienbeten begann, brach er aus. Ins Geltinger Dorfwirtshaus fiel er ein, am frühen Nachmittag schon. Flackte sich an den Knechtstisch, pfiff auf die scheelen Blicke der Protzbauern nebenan, ließ Bier und Enzian für sich und die anderen Minderwertigen auffahren. Schüttete das, was ihm vom Lohn noch geblieben war, auf die weißgescheuerte Buchenplatte, schrie schon gleich nach dem ersten Maulvoll Weihenstephaner, nach dem ersten Stamper: »Alles wird versoffen, heut! Kein Nickel darf übrigbleiben, weil mir’s sonst doch bloß der Geißler wegstiehlt! Durch die Gurgel damit, Manner! Prost! Und nachher, wenn ihr wollt, erzähl’ ich euch von der Jägerschlacht zu Gmund! Komm’ grad’ her von dort! Hab’ den Platz gesehen, wo das Blut geflossen ist!«
    Johlend taten ihm die Dienstboten, die Abgerissenen, die armen Teufel Bescheid. Nahmen ihn auf in ihre Mitte, schenkten ihm das, was ihm unterm Kruzifix, beim Geißler verwehrt geblieben war. Hineinfallen in den alkoholischen Brutdunst ließ er sich; sein Schädel glühte, während sie ihm auf die Schultern schlugen und ihn hochleben ließen. Geborgen fühlte er sich im dämpfigen

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