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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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halbanarchischen Holzknechten getroffen. Den uralten bajuwarischen Drang nach Rebellion hatte er gekitzelt. Hatte die Geschichte völlig überzeugend aus sich herausschleudern können, weil er im Grunde gar nicht den Mayr, den Probst und den Riesch gemeint hatte, vielmehr den Geißler, den Hans und die Saubauern, bei denen er in diesem Jahr geschuftet, sich oft bis aufs Blut geschunden hatte. Jetzt, da er verstummte und seinen Keferloher grimmig bis zur Neige leerte, brachen die Zustimmung, das Grölen lautstark über ihn herein. »Du bist einer von uns!« schrie der Waldarbeiter, der ihm am nächsten saß.
    »Ein Falott bist, ein ganz hundshäutener!« stimmte begeistert ein anderer zu. Neuerlich kam Freibier auf den Tisch, Schnaps dazu. Georg Jennerwein sonnte sich in der rauhen Zuwendung, die ihm zuteil wurde. Urplötzlich, an diesem eben noch so freudlosen Novembernachmittag, war er nicht mehr der Kleine, der Unbedeutende, der Verachtete, sondern der Held. Weil er sich auf die Seite der Wildschützen geschlagen hatte. Der Girgl, während er sich traktieren ließ, merkte sich diese Lektion gut; merkte sie sich für sein ganzes weiteres Leben. Immer wieder prostete er den Holzknechten zu, mit rotglühendem Schädel jetzt, und dann begannen sie ihn auszufragen: Ob er einer von Valley sei, woher er denn dann komme, was er denn anfangen wolle den Winter über, der jetzt vor der Tür stehe?
    Irgendwann, in der Nacht schon, wurde der Entschluß gefaßt. Von ihm selbst, von den Krachledernen – Georg Jennerwein hätte es später nicht mehr zu sagen gewußt. Doch am nächsten Morgen schnürte er in der Knechtskammer auf dem Hof, wo man ihn bis jetzt widerwillig noch geduldet hatte, sein Bündel. Vor dem Wirtshaus warteten schon die mit den Äxten und der Zugsäge. Im verkatert lärmenden Rudel nahm der Girgl den Weg unter die Füße; den Weg nach Süden, an der Mangfall entlang, hinauf ins Gebirge. Der Wochenlohn am Tegernsee, das hatten die Holzknechte ihm versprochen, konnte sich sehen lassen; auch für einen, der vorerst bloß als Handlanger taugen würde.
     
    *
     
    Der Osterberg, sich hinbuckelnd zwischen Mangfall und Seeufer. Ruppig bepelzt, Buchen und Nadelholz durcheinander. Das Unterholz klamm und stinkig jetzt, im häufig tiefhängenden Wolkendunst. Die Stiefel immer wieder schwer im Letten oder tückisch im grundlosen Laubmoder. Ins Genick ewig das feuchte Sprühen. Hagelbuchenes Getrümmer zwischen die Beine, so der Girgl nicht höllisch aufpaßte. Das Niederschmettern der Baumriesen sowieso. Unberechenbar blieb es dem Neuling lange. Erst allmählich lernte er, das mörderische Herunterfegen und Nachwippen vorausschauend auszutarieren. Der Einstand am Osterberger Holzschlag wurde ihm wahrlich nicht leichtgemacht.
    Da ihm aber im Leben noch nie etwas geschenkt worden war, schaffte er es allmählich, sich ins Krachen, Bersten und Splittern einzufügen. Tritt zu fassen im schlammigen oder felsschrundigen Wurzelgrund. Blasenziehender als im Frühling und Sommer bei den Flachlandbauern war das Zupacken im Forst. Doch bald bildeten sich dem Vierzehnjährigen die nötigen Hornschwielen aus. Als das Jahr in die ersten Dezembertage kam, vermochte er bei der Knochenarbeit manchmal schon höhnisch zu lachen. »Er lernt’s«, sagte dann und wann einer der Holzknechte hinter seinem Rücken.
    So hielt die Freundschaft, die im Wirtshaus von Valley rebellisch begründet worden war. Im Männerbündnis sägte und hieb der Girgl sich durch den ächzenden Dom. Handlanger, das war er bloß auf dem Papier, auf der speckigen Lohnliste des Sägewerksbesitzers drunten im Tegernseer Tal. In Wahrheit tat er fast von allem Anfang an die gleiche Arbeit wie die Erwachsenen auch. Nur daß er noch nicht deren Muskeln und deren Knochenstärke besaß. Doch er biß die Zähne zusammen und drosch gegen seine vierzehnjährige Verzweiflung an. Splitterte wieder ein Saukrüppel von Baum weg, so half ihm das mehr gegen das seelische Toben als alles andere, was er zuvor kennengelernt hatte. Obwohl jeden Abend hundsmüde, gab sich der Girgl in der Baracke dennoch meist umgänglich. Erzählte auch die Geschichte von der Jägerschlacht noch etliche Male. Nach Gmund selbst freilich kam er nur zweimal in dieser Zeit. Zuerst auf dem Herweg, dann wieder zwei Tage vor Weihnachten, als der Sägemüller die Arbeit über die Feiertage einstellen ließ und den Lohn auszahlte. Als letzter in der Reihe stand auch Georg Jennerwein da und ließ sich schließlich

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