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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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Stalldunst, der von den Knechtsgewändern ausging; daß ihn zahnlückige Mäuler feierten und klauig verarbeitete Hände seine Gaben entgegennahmen, störte ihn ums Verrecken nicht. Das war seine Welt: die der Hoffnungslosen und im Schatten Stehenden; einer dieser Hundshäutenen war doch auch er schon immer gewesen, und nun tauchte er ab auf den hefigen Grund, Keferloher um Keferloher, Stamper um Stamper tiefer, bis die Welt zuletzt feurig und schweißig um ihn herumwirbelte; bis der Wirt kam und in der Tat keinen Nickel mehr bei ihm fand – und den Stockbesoffenen unter dem billigenden Glotzen der Protzbauern und dem hilflosen Grölen der Knechte vor die Tür setzen ließ.
    Auf allen vieren kroch der Girgl das erste Wegstück, dann aber biß ihn die Nachtkälte aus seiner fatalen Auflösung wieder heraus. Er torkelte hoch und nahm, wie von Hieben hin und her über den Weg gescheucht, den einzigen Pfad unter die Füße, der ihm im verhaßten Gelting trotz allem in Fleisch und Blut übergegangen war. So erreichte er das Gütl, scheußlich frierend jetzt, rutschte am Dunghaufen vorbei, wäre im fiedrigen Schnee um ein Haar noch einmal zu Fall gekommen, polterte zuletzt gegen die Geißlersche Tür. Auf den Strohsack wollte er jetzt bloß noch, kopfüber hinein ins Vergessen, doch bereits im Fletz fiel der Betbruder über ihn her. Packte ihn, beutelte ihn, keckerte ihm seinen verlogenen heiligen Zorn ins Gesicht. Roch nach saurer Milch und Freudlosigkeit, und als Georg Jennerwein ihn in seinem nachflatternden Rausch als blödes Arschloch bezeichnete, versetzte der Geißler ihm aufkreischend die Maulschelle.
    Dies löste, wie aus einem Aufbersten heraus, die Rauferei aus, die jahrelang schon überfällige. Gegen das Stiegengeländer krachten die ineinander verklammerten Körper; ein Sparren splitterte, an der Gurgel hatte der Girgl jetzt den verfluchten Heiligen. Die Marei kam nicht heran an die Wahnsinnigen, ebensowenig der Hans. In der Mordlust tobten sie, waren ums Verrecken nicht zu packen, nicht zu bändigen, wollten nichts anderes als sich gegenseitig ans Leben. Immer noch war der Jennerwein zwei Köpfe kleiner als der Geißler, dafür aber durch die Waldarbeit muskel- und faustgestählt. Von Kindheit an tückisch geworden im Kämpfen dazu. Während er jetzt dem Feind die Kehle umkrallte, zog er das Knie an, ließ es nach vorne schnellen. Hinweggefegt hatte der Haß den Alkoholdunst; genau zwischen die Beine ging dem Geißler der hundsgemeine Angriff. Der Alte fistelte auf; der wahnwitzige Schmerz riß ihn aus den Klauen des Jungen. Ehe der Vierzehnjährige erneut zupacken konnte, geriet dem Gütler unversehens der abgebrochene Geländersparren in die Hände. Der Geißler hieb zu, traf den Jennerwein voll ins Gesicht, quer über den Mund. Ein Zahnknirschen biß dem Burschen durch den Schädel; ein zweiter Schlag raubte ihm gleich darauf die Besinnung. Als er wieder zu sich kam, fand er sich zum zweiten Mal in dieser Weihnachtsnacht draußen vor einer Tür im Dreck liegen. Drinnen hatte der Gütler den Riegel vorgelegt, trotz des Flehens der Marei. Georg Jennerwein, ein beinahe agonisches Dröhnen im Gehirn und grausame Schmerzen im Maul, schaffte es mit Mühe noch bis zur Scheune. Auf einem Heuhaufen dann brach er endgültig zusammen.
    Am nächsten Morgen schlich sich die Marei herein, brachte ihm sein kärgliches Bündel. Heulte die ganze Zeit, während sie ihm die gräßlich geschwollenen Lippen befingerte, gleich einem Kind. Georg Jennerwein, in seinem grün und blau geschlagenen Fell, begriff, daß ihm ein Schneidezahn lose im Fleisch hing. »Er hat geschworen, daß er dich nie wieder ins Haus lassen wird!« schluchzte die Mutter. »Ich hab’ nichts machen können dagegen! Hab’s die ganze Nacht versucht! Aber er sagt, du bist ein Verbrecher…«
    »Wenn ich gekonnt hätt’, dann hätt’ ich ihn umgebracht!« raunzte der Girgl undeutlich.
    Das Heulen der Marei steigerte sich erneut bis zum reinen Rotzen. »Was willst denn jetzt anfangen?« brachte sie endlich doch wieder heraus.
    »Nach Gmund geh’ ich zurück, zu den Holzknechten«, erwiderte Georg Jennerwein, sah gleichzeitig die blanken Äxte vor seinem inneren Auge blitzen und flügeln.
    Irgendwie verblich die Marei in diesem Augenblick völlig. Schien von einem Atemzug auf den anderen entsetzlich dünn und blutleer zu werden. Der Girgl erkannte es und konnte genau das nicht ertragen; er berührte sie noch einmal, raffte dann sich und sein Bündel auf,

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