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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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ihnen wäre; ein Kamerad, ein Verschworener, ein Eingeweihter. Ein Mann werden, das hieß jetzt für ihn, sich einzuordnen ins Rudel, seinen Stalldunst zu spüren; eine andere Autorität anzunehmen als die des nach wie vor gefürchteten Gendarmen. Neben den Mayr schob sich Johann Pföderl immer wieder beim Schießen, beim gespielten Nahkampf, im manövermäßigen Plänklerschwarm, auch beim Saufen. Wenn der Förster ihm dann etwas befahl, ihm grob sagte, was er tun sollte, dann gehorchte er fast freudig. Weil der Lohn dafür die Anerkennung war, das Ernstgenommenwerden; wieder und wieder das Vergessen jenes Augenblicks, da der eigene Vater ihn im Polizeirevier bei der Todsünde erwischt hatte. Weil er durch das Sichunterordnen, den Gehorsam einen anderen Vater fand, einen Übervater; die rauhe und dennoch brutwarme Horde.
    So schaffte der Polizist es also tatsächlich, aus seinem mißratenen Sohn das zu machen, was auch er selbst in seiner Dumpfheit als einen Mann bezeichnete; daß aber dadurch einer fürs Leben verbogen worden war, ahnten weder der Alte noch Johann Pföderl selbst. Vielmehr vermeinte der Junge, jetzt unverbrüchlich auf eigenen Beinen zu stehen, und im Juni 1866, am Tag der Kriegserklärung, wollte er sich das auch äußerlich beweisen und versuchte den Ausbruch.
    Nach München machte er sich auf; die bärbeißigen Ermunterungen des Gendarmen – »Komm mir bloß nicht als Vaterlandskrüppel {56} zurück!« – dröhnten ihm im Schädel nach, und in der Residenzstadt dann fragte er sich nach dem Rekrutierungsbüro für die Freiwilligen durch. War felsenfest davon überzeugt, daß er sein Blut und sein Leben jetzt dem Königreich, dem Herrscherhaus weihen müsse. Fühlte sich seelisch hehr wie nie und hinaufgetragen bereits nach Walhall, handelte sich in der Kaserne jedoch nichts weiter als eine rüde mentale Maulschelle ein.
    An Freiwilligen herrsche kein Mangel, bedeutete man ihm; das aber seien gestandene Mannsbilder und keine dahergelaufenen Bürscherl. Mit denen werde man den Krieg gewinnen, nicht jedoch mit einem Rotzlöffel wie ihm. »Geh wieder heim zur Mama, schau in ein paar Jahren noch einmal vorbei!« herrschte ihn der Sergeant abschließend an und komplimentierte ihn rauhbauzig wieder zur Tür hinaus.
    Es war ein Gefühl, als hätte man ihn noch einmal beim Wetzen ertappt, ganz wie damals in der Gendarmeriestube. Und dorthin, ins messinggrelle Vaterhaus, wagte sich Johann Pföderl jetzt nicht mehr zurück. Hatte nun auch sein allerletztes Vatervertrauen verloren, weil sie ihn in München zum Vaterlandskrüppel erniedrigt hatten. Nie wieder würde er dem Polizisten unter die Augen treten können, das spürte der Hans in dieser Minute ganz genau. Den Spott fürchtete er, die uniformsteife Überlegenheit; genau wieder das, was ihn sein ganzes achtzehnjähriges Leben lang verfolgt hatte. In ein Wirtshaus flüchtete er sich also zunächst, in den Qualm, hinter den Maßkrug, und dann versoff er bis auf den letzten Heller, was er an Münzen in seinem so verächtlich zivilen Hosensack fand. Immer noch halb den Rausch im Schädel, machte er am nächsten Morgen ein Fuhrwerk ausfindig, das den Weg nach Süden nehmen sollte. Irgendwann kamen sie an Miesbach vorbei; dort drückte sich Johann Pföderl instinktiv tiefer ins Stroh zwischen den Spanferkelkisten. In Hausham dann sprang er ab, brachte die Nacht herum in einem Heuschober, marschierte am nächsten Tag mit knurrendem Magen hinüber nach Tegernsee. Der Mayr war ihm eingefallen, der Revierförster, der Leitrüde von den patriotischen Übungen her.
    Ins Forsthaus hinein schlich sich Johann Pföderl am späten Nachmittag, erzählte von München, machte dem Grüngekleideten vor, daß man ihn in der dortigen Kaserne bloß deswegen nicht angenommen habe, weil derzeit ein Überhang an älteren Freiwilligen bestehe. In einem halben Jahr jedoch könne er gern wieder vorsprechen, denn er sei durchaus einer von echtem Schrot und Korn. »Vielleicht, daß ich bis dahin hier im Revier als ein Hilfsjäger…«, schloß Johann Pföderl und brach mittendrin, jäh kurzatmig, ab.
    Eine Hilfsjägerstelle freilich hatte der Mayr nicht für ihn, mochte sich auch sonst sein Teil denken; immerhin nahm er nach außen hin für bare Münze, was er gehört hatte, und verschaffte dem Hans die Stelle auf dem Holzplatz bei Gmund. Nahm sich auch vor, irgendwann einmal mit dem Vater des Dunklen zu reden; das aber geschah nie, denn der schon wenige Wochen später mit Pauken

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