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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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plötzlich waren sie es – umringten ihn, hatten ja schließlich gesehen, was er im Kampf geleistet hatte, welch ein wilder Teufel er gewesen war, und nun schlugen sie ihm auf die Schultern, und selbst der Jennerwein konnte nichts dagegen machen, war abgemeldet an diesem heißen, stickigen Augustabend. Er, der Pföderl, aber war der Held, durfte sich sonnen im nachwabernden Dunst des Blutruches – und mußte immer wieder den Säbel vorzeigen, die barbarische, unchristliche Turkowaffe, die er so kühn erbeutet hatte. Schnaps bot ihm der Korporal an, eine Zigarre der Sergeant, und später, als sich das Ungewöhnliche noch weiter im Lager herumgesprochen hatte, tauchte sogar der Hauptmann auf, ließ sich den Namen des Pföderl nennen, überlegte, kniff hinter seinem Monokel das Augenlid scharf und raunzte schließlich anerkennend: »Du bist beim Manöverschießen damals Zweiter geworden, ja?«
    Als hätte er einen Orden bekommen, so fühlte sich der Gefreite plötzlich; selbst daß ein anderer den ersten Rang errungen hatte, im Frühjahr, kratzte ihn jetzt nicht mehr. Er vergaß es einfach, verdrängte es; der Jennerwein brauchte von nun an gar nicht mehr für ihn zu existieren; auch der Gendarm nicht und nicht die Münchner Hure; gar nichts mehr von dem, was ihn letztlich so ungeheuerlich ins Metzeln getrieben hatte. Nur das Besäufnis gab es zuletzt noch und dazu die brutwarme Geborgenheit in der Kameradschaft, und am nächsten Tag marschierten der Pföderl und der Korporal Seite an Seite wie Freunde weiter und trieben die Truppen des Generals MacMahon {61} , die sich jetzt auf Châlons-sur-Marne zurückzogen, vor sich her.
     
    *
     
    Den ganzen August hindurch ging das Menschenschießen weiter; nach dem Fall von Wörth, Elsaßhausen und Fröschweiler kam es in der Mitte des Monats zum Schlagen bei Colombey-Nouissy, ebenso zum gegenseitigen Abschlachten bei Vionville-Mars-la-Tour. Von dort aus schien der Krieg auf Metz schielen zu wollen; auf dem Marsch dorthin gelang es den Deutschen, die Festung Toul im überraschenden Handstreich zu nehmen. Das folgende Metzeln bei Gravelotte sollte in die Militärgeschichte eingehen; weniger ergiebig für die Geschichtsschreiber war die Wegnahme von St. Marie aux Chênes durch die deutschen Truppen. Den Soldaten freilich – den linksrheinischen ebenso wie den rechtsrheinischen – konnten solch historische Aspekte ohnehin gleichgültig sein; zumindest denjenigen unter den einfach Uniformierten, die weniger ruhmsüchtig waren als Johann Pföderl. Die hatten, während die siegreichen oder unterliegenden Generäle, Marschälle und Hochadligen trotz allem Sekt schlürften, zu bluten, zu schanzen, zu marschieren und wieder zu bluten. Denen krochen die Läuse über die eiternden Wunden, in die Achselhöhlen und ins stinkige Schamhaar; denen brach der Dünnschiß aus den geschundenen Leibern, reihenweise auf den Mannschaftslatrinen; die fraßen das angeschimmelte Brot und soffen das faulige Wasser aus den Straßengräben; die schachteten Massengräber aus, beinahe jeglichen Tag.
    Massengräber für die Schädellosen, die ins Schrapnell gerannt waren; Massengräber für die ohne Arme und Beine; Massengräber für andere wieder, die man in die eigenen herausquellenden Eingeweide verbissen auffand; Massengräber für solche, denen es die nackten Lungen durch die zersplitterten Rippen getrieben hatte; Massengräber für unkenntliche Fleischfetzen bloß noch, für unbeschreibliche Haufen Rohes und Blutiges; Massengräber für die Früchte, die blasphemischen, die der menschliche Machtwahn jetzt tagtäglich tausendfach aus sich trieb.
    Dazu das zum Himmel schreiende Leid in den Lazaretten: Amputationen ohne Betäubung; das Messer durchs Schenkel-, durchs Waden-, durchs Schulterfleisch, die Säge kratzig durch die Knochen. Drainagen, aus den Eiterherden in der Bauchhöhle, der Lunge, dem kindskopfgroß aufgetriebenen Hodensack heraus. Gliedlose Menschenstümpfe in den von der Decke baumelnden Netzen; die Blechschüssel darunter, die das Blut, das Sekret auffing. In ihrer ewigen Dunkelheit die Blindgeschossenen; unter denen die meisten Selbstmörder. Diejenigen, die sich den Schädel einrannten am Mauerwerk, an den eisernen Fenstergittern; diejenigen, die um der finalen Erlösung vom Menschsein willen noch einmal zur Waffe griffen. Wahnsinnige dazu; Kotfresser, Schüttler, Zitterer, endlos und ununterbrochen Brüllende, in den religiösen Wahn Verfallene; solche auch, die im Grauen zu

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