Jennerwein
zwischen ihnen tauchten plötzlich andere Bayerische auf; eine oder zwei Gewehrsalven später lebte von den Dragonern kein einziger mehr. Hinter seiner Haubitze, jetzt wieder die rauchende Muskete in den Fäusten, schrie Johann Pföderl seinen irrwitzigen Triumph heraus; er schrie und heulte wie ein Wolf, bis er unvermittelt die Epauletten {64} vor sich sah.
Der Leutnant war es; Schnaps bot ihm der Offizier an, danach belobigte er ihn für seine Tat vor jetzt wieder versammelter Mannschaft, die Toten und Verwundeten ausgenommen: »Sie haben, ganz ohne Zweifel, die Batterie gerettet, Herr Gefreiter! Werde Meldung darüber erstatten, bei Ihrem Kommandeur!« Anschließend der Befehl an die Mannschaften zum dreifachen Hurra; auch das Schulterklopfen, die Kameradenwärme wieder. Am Wegtragen der Leichen, der Fleischfetzen brauchte sich Johann Pföderl selbstverständlich nicht zu beteiligen. Das Stöhnen, Wimmern und Schreien der Verwundeten überhörte er im nunmehr schnell wachsenden Schnapsrausch. Marschierte mit glühendem Schädel noch zwei oder drei Meilen weiter mit der geretteten Batterie, bis die Protzenstellung erreicht war, stieß spät in der Nacht weiter vorne wieder auf seinen eigenen Haufen. Auch dort wieder Schnaps, das ruppige Erzählen, das Prahlen dazu, und am nächsten Tag dann wurde er direkt aus dem Graben zum Hauptmann befohlen.
Der trommelte an Chargen und Mannschaften zusammen, was auf dem Gefechtsstand gerade greifbar war. Ließ sie antreten, sauber ausgerichtet, ließ den Gefreiten Pföderl dann vor dieser Front gönnerhaft sein Männchen bauen. Erklärte den angespannt Lauschenden wann, wo, wie und warum! Stellte ihnen den Pföderl als leuchtendes Vorbild hin. Als einen, der nicht erst gestern seine erste Heldentat vollbracht habe. Befahl dann auch seinerseits für den Pföderl ein dreifaches Hurra. Beförderte ihn daraufhin mit Handschlag und straff gerecktem Kinn zum Korporal. Heftete ihm dazu den Mannschaftsorden ans Uniformtuch. Und übergab ihm zuletzt die Führung einer Gruppe, deren Unteroffizier in der vergangenen Nacht gefallen war.
Johann Pföderl, die nagelneuen Litzen an der Uniform, lief zurück zu den Schützengräben, wie auf Wolken. Auf der Suche nach dem Haufen, den er jetzt befehligen durfte, begegnete er dem Jennerwein. »Na, du großer Held!« begrüßte ihn der andere spöttelnd. »Meinst du nicht, daß wir zusammen einen saufen sollten, auf deinen Ruhm?«
Johann Pföderl war einen Augenblick lang wirklich versucht, genau das zu tun. Weil er jetzt sogar die Anerkennung seines alten Widersachers errungen hatte. Aber dann durchschaute er den Jennerwein auf einmal, begriff, warum in Wahrheit es in dessen Pupillen so verräterisch lichtelte, und jäh schien ihm unterm dekorierten Uniformtuch der alte Buckel wieder aufgewuchert zu sein. Ebenso jäh klammerte er sich einen Lidschlag später innerlich an seinen Litzen fest und schnauzte den so unerträglich Grinsenden an: »Stillgestanden, Gemeiner! Das Gewehr… über! Das Gewehr… ab! Daß du es lernst, daß wir nicht zusammen Säue gehütet haben! Saukrüppel, du! Und… hinlegen! Und… robben! Weil du einen Unteroffizier angeredet hast wie eine billige Hur’! Und… weiterrobben, Saftsack, du!«
Strafexerzieren ließ der Pföderl den Jennerwein, bis dem die Gebirglerknie weich wurden. Und konnte und konnte nicht aufhören damit, bis in der Nähe ein Offizier auftauchte. Erst dann scheuchte er seinen Todfeind wieder nach vorne, in den Schützengraben. Keuchend, mit vor unterdrückter Wut zerbissenen Lippen, verschwand der Girgl. Johann Pföderl, nachzitternd wie nach einem Orgasmus, machte sich zum eigenen neuen Unterstand auf. Und setzte dort, weil er angeblich zu nachlässig gegrüßt worden war, gleich wieder Strafexerzieren an, während über den Balkenverhau hinweg die deutschen und die französischen Granaten ihre heulenden Bahnen zogen.
*
Wenige Tage später, am 1. September 1870, flügelten die Kanonenkugeln über Sedan hin; wiederum wurde Kriegsgeschichte geschrieben, denn gegen Ende der dortigen Schlacht kam es zur Gefangennahme Napoleons III. in der Nähe des Dorfes Donchery. Dort auch kapitulierte der Kaiser, Bismarck diktierte ihm die Übergabebedingungen, anschließend wurde Napoleon auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel interniert. Zusammen mit ihm gingen 39 Generäle, 2300 Offiziere und 83000 Mann in Gefangenschaft. Lediglich die Städte Straßburg und Metz leisteten, mehr oder weniger auf
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