Jenny heftig in Noeten
durchsingen. Mit Aufstehen und Armeschwenken und allem Drum und Dran. Ich fand es schrecklich, dass ich mich nicht mehr hinter Karen Sue Walters Haarbusch verstecken und lesen konnte. Und noch schrecklicher, dass die Armbewegungen superkompliziert und schwer zu merken waren und ich immer wieder durcheinander kam, weshalb ich von Mr Hall dauernd angebrüllt wurde.
»Du bist schon wieder aus dem Takt, Jenny Greenley!« oder »Pass doch auf, Jenny!«
Dafür dass sich die Teilnahme am Chor im Zeugnis gut macht, musste ich echt ganz schön leiden. Und alles war Trinas Schuld.
Wobei wir Altstimmen noch besser dran waren als die Sopranistinnen. Die mussten nämlich so richtig TANZEN. Mit HÜTEN. Ganz im Ernst. Zu dem Song »All That Jazz« aus dem Musical »Chicago« mussten sie so eine Hut-und-Spazierstock-Nummer hinlegen, allerdings ohne Spazierstöcke. Na gut, eigentlich wäre das kein Problem gewesen. Die Sopranistinnen waren nämlich alle gute Tänzerinnen. Aber wir Altsängerinnen sollten ihnen die Hüte, die auf einer der oberen Sitzreihen parat lagen, anmutig hinunterreichen, und das war ein Problem. Weil es nämlich total schwierig ist… jedenfalls für jemanden ohne jedes Rhythmusgefühl wie mich. Als es zur Mittagspause klingelte, war ich völlig ausgelaugt.
Ganz im Gegensatz zu Luke, der inzwischen aufgewacht war.
»Und dieser Mist zählt so richtig im Zeugnis, oder was?«, fragte er, als wir den Chorsaal verließen.
Erstaunlich, wie schnell er den Chor durchschaut hatte. Ich hatte dafür immerhin ganze drei Monate gebraucht. Ich meine, nicht nur die gepolsterten BHs, nein, sondern dass »All That Jazz« noch der coolste Song ist, den wir singen. Der Rest unseres Programms besteht aus Perlen (laut Mr Hall) der Musicalgeschichte,
z. B. »As Long as He Needs Me« aus »Oliver« (wir Altstimmen lieben ganz besonders die Stelle »As long as he needs me, I cling on steadfastly«, weil wir statt »cling on« nämlich immer »Klingon« singen, ohne dass Mr Hall es bis jetzt gemerkt hätte) oder »Day by Day« aus »Godspell«.
Das Nervigste ist, dass wir mit dem Chor herumreisen müssen, weil Mr Hall ständig Auftritte in irgendwelchen Grundschulen oder bei Treffen vom Rotary Club für uns organisiert. Echt wahr. Als mir das klar wurde, war ich total entsetzt und hätte Trina am liebsten umgebracht. Aber da war es schon zu spät. Es wäre zwecklos gewesen, Ms Kellogg zu bitten, mich in eine andere AG zu versetzen – die waren alle schon voll.
Allerdings muss ich zugeben, dass der Chor auch sein Gutes hat. Immerhin bietet er den empfindsamen Künstlerseelen unter den Schülern einen Rückzugsort, an dem sie sich sicher fühlen können. Ein paar der Troubadours bleiben sogar in der Mittagspause zum Essen im Chorsaal, um sich unten in der Cafeteria nicht den Kurt Schraeders der Schule auszuliefern.
Trina würde auch gern im Chorsaal essen, allerdings aus anderen Motiven. Sie will bloß verhindern, dass Mr Hall (der nicht im Lehrerzimmer, sondern in seinem Büro zu Mittag isst – ich glaub, er ist im Kollegium nicht sonderlich beliebt) eventuelle Soloauftritte an andere Sopranistinnen vergibt, bloß weil Trina das Pech hat, gerade mal nicht in der Nähe zu sein. Aber ich hab ihr gesagt, dass ich es überhaupt nicht einsehe, nur wegen ihres privaten Konkurrenzkampfes mit Karen Sue Walters auf das Menü in der Cafeteria zu verzichten. Also essen wir nicht im Chorsaal.
Doch das alles konnte Luke nicht wissen. Beim Rausgehen warf er einen Blick auf Karen Sue und die anderen Chormitglieder, die ihre Essenstüten unter den Sitzreihen hervorzogen. »Ist die Probe nicht zu Ende?«, fragte er. »Wieso essen die im Chorsaal?«
»Wer die ? Meinst du die Leprakolonie hier?« Trina lachte lange und begeistert über ihren eigenen Witz, obwohl sie, wenn ich sie lassen würde, ja selbst im Chorsaal essen würde.
Also musste ich es Luke erklären. »Die essen hier, weil sie Angst haben.«
»Wovor?«
Wir gingen nach unten und betraten die Cafeteria.
Und zum zweiten Mal an diesem Tag sagte Luke: »Leck mich…«
Nur sagte er es diesmal aus einem anderen Grund.
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Stellt Annie eure drängendsten Fragen zum Thema zwischenmenschliche Beziehungen. Na los, traut euch! Der Clayton Highschool Register behält sich vor, Briefe an Annie abzudrucken, wobei Namen und E-Mail-Adressen der Ratsuchenden selbstverständlich vertraulich behandelt werden.
Liebe Annie,
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