Jenseits aller Vernunft
ließ sie ins Grab fallen, als habe das keine Bedeutung für ihn.
Die Familie stand ernst dabei, als alle anderen vorbeidefilierten und dann eine langsame, traurige Prozession zurück ins Lager begann. Bald standen nur noch Lydia und Mr. Grayson bei ihnen.
» Lass t Euch Zeit. Ich glaube, heute ist sowieso keinem nach Weiterfahrt zumute. Später sollen dann ein paar Männer herkommen und das Grab fertigmachen - wenn Ihr das Zeichen gebt.« Ma nickte.
Lydia umarmte sie alle der Reihe nach und ließ sich dann von Mr. Grayson zu ihrem Wagen begleiten. Sie sehnte sich nach Ross. Wenn er jetzt hier wäre, könnte sie vielleicht den Gedanken an Lukes brutalen Tod ertragen. Ross könnte auch Bubba helfen, das Grauen zu überwinden, das ihn angesichts des Mordes an seinem Bruder erfüllte.
Trauer um den jungen Luke erfüllte ihr Herz. Sie hatte ihn gemocht wegen seines Sinns für Humor und seines Übermuts, konnte nichts als weinen um seinen sinnlosen Tod. Ross sollte sie in seine tröstlichen Arme nehmen.
Aber er war fort, und sie muss te stark sein, um Ma und Zeke beizustehen. Sie würde ihnen niemals zurückzahlen können, was sie ihnen schuldete, aber sie wollte wenigstens für sie da sein in diesem Unglück.
Im Lager wurde Lydia klar, dass der Mord an Luke natürlich auch noch andere Folgen haben würde außer Kummer. Gestern abend, als Moses ihn gebracht hatte, war es schon zu spät gewesen, um einen zuständigen Helfer des Friedensrichters zu holen. Der nächste Sheriffposten war zwanzig Meilen entfernt. Und keiner wollte sich mit versprengten Söldnern anlegen, die immer noch Arkansas unsicher machten.
Mr. Grayson hatte am frühen Morgen einen Boten losgeschickt. Als er zurückkam, berichtete er, der Sheriff sei erst in ein paar Tagen wieder zurück in der Stadt. Und der Hilfssheriff wollte seinen Posten nicht verlassen.
»Hier hat es noch nie derartige Verbrechen gegeben«, meldete Mr. Sims zögernd. »Er hat gesagt... wir, äh... sollen überlegen, ob nicht jemand vom Treck...«
»Meint er, dass einer von uns den Jungen umgebracht hat?« fragte Grayson.
Unglücklich verknotete der Bote die Zügel in seinen Händen. »Das hat er angedeutet. Ich hab’ gesagt, das glaube ich nicht, aber...«
»Nun, also ich habe darüber nachgedacht«, erklang Leona Watkins schrille Stimme. Als alle sie musterten, zog sie ihr Tuch fester zusammen, hob hochmütig die Schultern und wartete ein wenig, damit die Spannung wuchs. »Gestern habe ich jemanden im Wald herumschleichen sehen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, bis der Langston-Junge tot war, aber jetzt glaube ich, dass es meine Christenpflicht ist, davon Bericht zu erstatten.«
Ihr Ehemann Jesse schlug die Augen nieder. Er sah aus, als wünschte er verzweifelt, sie hätte geschwiegen. Priscilla stand in dumpfer Langeweile dabei.
»Leona, du weißt doch nicht...«
»Sei still, Jesse«, fuhr sie ihren Mann an, der sich duckte. »Die Leute hier müssen es erfahren, wenn sie einen Mörder unter sich haben.«
Alle holten tief Luft, auch Lydia. »Mrs. Watkins, Ihr denkt doch nicht allen Ernstes, jemand aus dem Wagenzug hätte Luke auf dem Gewissen«, sagte Mr. Grayson.
Leona ließ ihre Frettchenaugen im Kreis herumwandern. Jetzt hatte sie alle genau da, wo sie sie haben wollte - gebannt an ihren Lippen hängend. »Wer hat ihn hergebracht? Hmm? Selbst von Blut besudelt...«
»Moses?« schrie Lydia gellend. »Ihr wollt Moses beschuldigen, Luke ermordet zu haben? Überhaupt jemanden ermordet zu haben?«
»Wir brauchen keine Außenseiter, die sich uns aufdrängen«, sagte Leona und hielt es nicht für nötig, Lydia anzusehen. Statt dessen richtete sie ihren harten, farblosen Blick auf den Schwarzen. Diejenigen, die neben ihm gestanden hatten, rückten ein Stück ab und sahen ihn mi ss trauisch an. Plötzlich erschien er ihnen fremd, obwohl sie schon seit Wochen mit ihm zusammen unterwegs waren.
»Ich habe ihn gestern, als ich zum Fluss ging, im Wald herumschleichen sehen«, flüsterte Leona Watkins laut. Ihre Augen glitzerten böse, glühten vor Fanatismus. »Ich sage, dass er der Mörder ist.«
Fragendes Gemurmel wurde laut, und Lydias Herz begann zu rasen. Das alles hier war sicherlich nur ein schrecklicher Traum
gleich würde sie wach werden und Ross’ Arm schwer und sicher in ihrer Taille spüren.
»Warum sollte Moses denn jemanden töten?« fragte einer aus der Menge.
»Er ist ein ehemaliger Sklave«, argumentierte Leona laut und breitete die Arme aus.
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