Jenseits aller Vernunft
diese sogenannten gottesfürchtigen Christen zufriedenzustellen«, sagte sie mit einem Kopfnicken nach hinten. »Wir drei wissen, dass sie sonst nichts zu bedeuten hat. Wie ich diese Sache sehe, könnte damit alles genauso weitergehen wie bisher.«
Ross kaute auf der Spitze seines Schnurrbarts und warf finstere Blicke auf Ma und Lydia. Dann ri ss er den Hut vom Haken und setzte ihn auf. »Ich muss meine Pferde versorgen.« Mit diesen Worten polterte er hinaus.
»Niemals heirate ich«, sagte Lydia ruhig. Sie wusste , wieviel Unglück aus der Ehe erwachsen konnte. Ihre Mutter hatte jahrelang Erniedrigung und Verachtung ertragen müssen, bis sie schließlich vor lauter Scham und Demütigung gestorben war. Auf so etwas konnte Lydia verzichten. »Ich werde überhaupt keine Ehe eingehen.«
»War es wirklich so schlimm, Mädchen?«
»Was?«
»Schwanger zu werden. War es so schlimm, dass Eure Meinung von den Männern insgesamt derartig gelitten hat?«
Lydia starrte Ma ein paar Sekunden schweigend an und sah dann hinaus. Ross hätte seinen Umhang mitnehmen sollen. Es hatte wieder angefangen zu regnen.
»ja«, flüsterte sie. »Es war schlimm.« Sie schauderte vor Abscheu angesichts all der Erinnerungen, die sie plötzlich in die Zange nahmen und die sie lieber endgültig vergessen hätte.
Ma seufzte. »Ich hatte schon so etwas gefürchtet. Aber es muss nicht immer so sein, Lydia. Mr. Coleman ist...«
»Ein Mann. Ein Mann, der mich genauso wenig will wie ich ihn.«
»Wer weiß«, sagte Ma zu sich selbst. Laut meinte sie nur: »Aber Ihr braucht einander. Könntet Ihr jetzt so einfach auf Lee verzichten?«
Tränen stiegen Lydia in die Augen, als sie zu seinem Kistchen schaute. In ein paar Wochen muss te sie ihm ein neues Bett besorgen, dieses würde aus allen Nähten platzen. Aber ob sie in ein paar Wochen noch hier wäre? Mr. Coleman war ein sanfter, wohlwollender Vater, aber ob er auch die vielen kleinen Dinge sähe, die für den Kleinen getan werden muss ten? Schließlich konnte er keine mütterlichen Instinkte wie sie besitzen.
Ma sah, dass ihre Überredungstechnik Wirkung zeitigte, daher drängte sie weiter: »Was werdet Ihr tun, wenn sie Euch hinauswerfen? Ich denke, die würden Euch nicht mal mehr bei uns wohnen lassen, angesichts meiner beiden leicht beeinflussbaren Jungens.«
Das traf den Stolz der jungen Frau, genau wie Ma geplant hatte. Lydia hob trotzig den Kopf. »Ich kann für mich selbst sorgen.«
»Tja, besonders gut wart Ihr darin aber nicht, als meine Söhne Euch halb tot vor Erschöpfung und Blutverlust gefunden haben. Die Kleider fielen Euch in Fetzen vom Leib. Ich hattet keinen Pfennig, nichts zu essen. In diesen Zeiten ist es schwierig für eine Frau, sich allein durchzuschlagen.« Ma sah das Mädchen scharf an. »Vor allem, wenn sie vor jemandem davonläuft.«
Lydias Blick wurde wachsam und ihre Angst erkennbar. Ma sah, dass sie richtig geraten hatte. »Und nach einer Jungverheirateten mit Baby würde doch keiner suchen, oder?« Sie wandte sich zum Gehen, sagte dann aber noch: »Es könnte alles noch viel schlimmer sein. Mr. Colemans Natur ist ganz schön launisch, aber er hat gelernt, damit umzugehen. Ich glaube nicht, dass er Euch je weh tun würde wie der andere. Denkt darüber nach.« Damit verabschiedete sie sich.
Vieles von dem, was Ma gesagt hatte, leuchtete Lydia ein. Wenn sie Mr. Coleman heiratete, konnte sie bei Lee bleiben. Sie liebte das Kind und glaubte, dass es sie auch schon beinah liebte oder zumindest erkennen konnte. Sobald sie sich über ihn beugte, drehte er schon sein wackeliges Köpfchen zu ihr.
Mr. Coleman war kein böser Mann so wie die, mit denen sie zwölf Jahre lang gelebt hatte. Er war herablassend, stolz und aufbrausend, aber in einem Punkt muss te sie Ma rechtgeben. Möglich, dass er sich über sie ärgerte, aber schlagen würde er sie nie. Gelegenheit dazu hatte er genug gehabt, und wenn er sich bis jetzt beherrscht hatte, würde er das auch in Zukunft so halten.
Sein Gesicht war angenehm anzusehen. Wenn er lächelte, empfand sie das wie einen Sonnenstrahl. Er hatte die ganze Nacht eng bei ihr gelegen, und sie hatte keine Angst vor ihm gehabt. Sie fand seinen Körper nicht abstoßend. Im Gegenteil, er sah gut aus und sie fühlte sich sicher durch seine Größe und Kraft. Rein körperlich konnte sie seine Nähe durchaus ertragen.
Als Mrs. Coleman würde sie Dinge bekommen, die sie noch nie gehabt hatte - einen Namen, einen Platz, an den sie gehörte. Und als
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