Jenseits der Augenlider: Garandors Licht (German Edition)
unaufhörlich hin- und hergezogen wurde, nur um festzustellen, dass er sich in der Wirklichkeit befand.
Endlich erblickte Waldoran das wunderschöne Gesicht seiner Fürstin. Das Feuer, vor welchem sie stand, warf dunkle Schatten auf ihr feines Antlitz und ließ es mysteriös flackern. Doch der Vertrautheit ihrer Tausenden gemeinsamen Winter hatte dieser simple optische Trick nichts entgegenzusetzen.
Endlich hatte Chorz aufgehört ein Stier zu sein. In seinem Geist wurde er zu einem Menschen und trotz seines furchteinflößenden Aussehens zählte er nun zum Osten. Außen war er zwar immer noch ein Stier, innen jedoch, war er so weise wie der alte Magier mit dem grauen Bart, am östlichen Fuße der Höhen.
Das Feuerwerk erlosch allmählich. Die Pünktchen verschwanden und wichen dem traurigen Weiß; wichen der angespannten Realität. Oder waren die Punkte seine neue Realität?
Balira musste hier sein, schließlich war sie die Magierin der Zwerge und damit unentbehrlich in einem Kampf gegen die Schatten, in welchem es zudem um so viel ging. Er wendete sich im Kreis, doch das Panorama vor seinen Augen veränderte sich nicht.
Tosender Donner riss ihn aus seinen Gedanken. Und verformte sich zu etwas Anderem, Brutalerem. Hörner schallten in der weißen Nacht und kündigten das Rot an.
„ Auf die Positionen. Sie kommen.“
Diese beiden Sätze hallten tausendfach in der Mittagssonne wieder. Elfen flossen auf ihre Positionen in den hintersten Reihen, während sich die Zwerge an vorderster Front aufrichteten und grimmig brummend und knurrend ihre Äxte und Hämmer umklammerten. Grimmdor, Sindril und Torn erreichten ihr eigenes Lager, dicht gefolgt von einem atemberaubenden Heer. Die selektierte Gruppe, die in das durch die menschliche Kavallerie entstehende Loch in der linken Flanke einbrechen sollte, um Chaos zu stiften, bestand aus dem Kapitän der Kavallerie der Menschen und aus einigen Zwergen und Elfen – der unangefochtenen Elite der jeweiligen Völker – und wartete auf ihren Einsatz. Grimmdor, Sindril und Torn gehörten ebenfalls zu dieser Truppe.
Die Orks und Stiere stürmten auf sie zu, eine schwarze Welle deren Waffen in der grellen Sonne schimmerten und blitzten. Die Luft knisterte, als die vereinte Armee sich in Bewegung setzte und die mächtigen Hörner des Ostens und des Westens in einem antiphonischen Kanon um die Lufthoheit kämpften.
„ Lannus. Wo bist du?“ Es war hoffnungslos. Sie konnten schreien, so viel sie wollten, der Dieb war verschwunden. Wenn er nicht rechtzeitig auftauchte, wäre alles verloren, doch sich aufzuteilen, um ihn zu suchen, konnten sie ebenfalls nicht riskieren. Zu abschreckend war die Angst davor, in dem Gemetzel verloren zu gehen, welches sich nun im vollen Gange befand. Markerschütternde Schreie und das Aufeinandertreffen stählerner Waffen bildeten eine trommelfellzerschmetternde Geräuschkulisse unter dem durch den elfischen Pfeilhagel schwarz gefärbten Himmel. Noch hielt sich die Zahl der Toten in Grenzen, da die Kämpfer beider Seiten wach und aufmerksam waren. Doch wenn die Sonne wieder hinter den Horizont stürzte, würde es anders aussehen.
„ Lannus!“ Unmöglich. Doch sie konnten nicht aufgeben.
„ Chorz, du musst ihn finden.“
Waldoran blickte der Bestie in die menschlichen Augen.
Der Stier setzte zu einer Antwort an, doch wurde von einem trommelfellzerschmetternden, zwergischen Horn unterbrochen und nickte lediglich. Die Magier eilten zur Spitze der Erodyn-Höhen. Während sie den Stier verschwinden sahen, zogen die Schatten auf.
Man konnte ihre flackernden Silhouetten in der Ferne ausmachen. Die Auserwählten mussten sich in Sicherheit begeben, bis Chorz Lannus gefunden hatte. Dante packte Garandor am Arm und zog ihn mit sich hinter Waldoran her, der ein Versteck in seinem Geist zu haben schien. Es ging das Plateau hinunter, vorbei an der Gruppe Magier, welche die Höhen erklommen, um die Schatten in Schach zu halten.
„ Garandor.“ Eine weibliche Stimme streichelte die empfindlichen Ohren des Zwerges.
„ Balira. Ich sehe dich nicht.“
„ Ich stehe vor dir, Garandor. Öffne deine Augen.“ Der Zwerg hatte sich daran gewöhnt, seine Augen stets geschlossen zu halten, da seine leeren Augen keinen angenehmen Anblick boten. Dante hüpfte unterdessen ungeduldig von Bein zu Bein.
Zur Antwort öffnete Garandor seine Lider. Trauer stieg in ihm auf, als er realisierte, dass er Balira nie wieder mit seinen eigenen Augen sehen
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