Jenseits der Augenlider: Garandors Licht (German Edition)
noch wenige Haaresbreiten. Er berührte den kalten Stahl und eine spezielle Wärme durchfloss seinen Körper von Kopf bis Fuß. Ein weiterer Erfolg. Womöglich war er einfach dazu prädestiniert, Stiermeister zu werden, besaß ein besonderes Band des Vertrauens zu ihnen. Doch er wusste es nicht und alles was ihn in diesem Moment interessierte, war wie er es nun vollbrachte, das knappe, borstige Fell des Tieres zu berühren, um ihm zu signalisieren, dass er nichts Schmerzhaftes mit ihm plante. Dies war selbstverständlich eine Lüge, doch das verstand Chorz ohnehin nicht.
Der Ork hält sich wohl für äußerst gerissen. Mal sehen, wie es ihm gefällt, wenn ich eine nette Überraschung für diese wertlose Kreatur vorbereite. So ist es gut, nur weiter. Ein kleines Stückchen noch, dann kannst du
auf Wiedersehen
zu deiner ranzigen Hand sagen. Oder doch nicht. Diese Barbaren würden mich höchstwahrscheinlich zu Tode quälen. Ein wenig Angst kann ich ihm dennoch einflößen. Schließlich war er es, der mich außer Gefecht setzte und in dieses mickrige Gestell aus rostigem Stahl sperrte.
Ich sehne mich danach, meine Beine in Freiheit über Felder galoppieren zu lassen; den Donner meiner Hufen als Echo wahrzunehmen. Unvorstellbar, wie sehr man etwas so simples wie die Strahlen der Sonne vermissen kann. Und dass es einem erst auffällt, wenn sie einem verwehrt bleiben.
Ich hoffe, meine Herde bleibt stark und hat ein sicheres Versteck entdeckt. Ach – ich wünschte, dass zumindest ein anderer Stier existiert, mit welchem ich mich unterhalten kann. Die Kommunikation mit Menschen und Orks, mit Zwergen und Elfen ist nicht möglich, da sie mich umgehend erlegen würden. Das Risiko ist zu hoch. Ob es eine besondere Bedeutung hat, dass ich diese Gabe besitze? Womöglich bin ich wahnsinnig geworden in der Einsamkeit. Nur mit sich selber sprechen zu können muss auf Dauer wahnsinnig machen.
Wieso steht der Ork wie eine Statue vor meinem Gefängnis und versucht so auszusehen, als sei das Schauspiel ein Akt wahren Mutes? Lachhaft, dieser unbändige Wille, der Beste zu sein, sich zu beweisen. Nun gut, als einziger sprechender Stier hat man es eben einfach.
Näher, bloß noch eine Fingerbreite. Drei. Zwei. Eins.
„ Verdammte Bestie.“ grollte Addor. Sie musste büßen. Doch nun war nicht der richtige Zeitpunkt, da er sie auf die Mission vorbereiten musste, sollte er seinen Kopf behalten wollen. Das Tier hatte vermutlich aus Instinkt gehandelt und er hatte Glück gehabt, dass seine Reflexe so hervorragend funktionierten. Dennoch hatte Chorz ihn in eine äußerst peinliche Lage gebracht, was ein Ork seines Standes nicht dulden konnte.
Verstohlen blickte er die hinzugekommenen Beobachter an, um herauszufinden, ob sie grinsten, ob einer der Orks es wagte, einen Mundwinkel zu verziehen. Glücklicherweise besaßen sie alle die nötige Disziplin. Zwei Herzschläge nachdem er sich von seinem Schock erholte, machte er sich wieder an die Arbeit den wahnsinnigen Stier zu trainieren und überlegte sich eine Taktik, denn Latenor wollte Chorz so rasch wie möglich auf die Jagd nach diesem bunt zusammengewürfelten Haufen entsenden. Der zweite Spähtrupp würde schon bald zurückkehren und bis dahin mussten die Stiere bereit sein. Addor wusste, wie rasch er eine Reise in den Ozean antreten würde, sollte er seine Arbeit nicht zur vollsten Zufriedenheit Latenors verrichten, weswegen er sich schleunigst einen Geniestreich einfallen lassen musste.
„ Wenn dieser verfluchte Stier nicht in spätestens zwei Nächten zahm genug ist, diese verdammten Irren zu suchen, sehe ich große Schwierigkeiten auf dich zukommen, Addor.“ meinte ein junger Ork namens Graschnotz ein wenig nervös, da er wusste, dass Orks in Gruppen ausgetauscht wurden, sollte ein einzelner nicht funktionieren.
„ Das ist mir bewusst.“ grunzte der dritte Stiermeister zornig. „Doch mir wird schon etwas Passendes einfallen.“
Ich denke, es ist an der Zeit, mein bestes Benehmen an den Tag zu legen.
XXIX
Addor fühlte sich unglaublich wohl in den Grotten der Telénastiere. Schließlich waren sie seine zweite Heimat. Die zwielichtigen, verwesenden Löcher unter der Erde, in denen es fortwährend nach dem Blut und Schweiß der Menschen – sie stellten die Hauptnahrungsquelle der Stiere dar – roch, sagten ihm schlichtweg zu. Die Tatsache, dass er binnen weniger Sekunden der Vergangenheit angehören konnte, sollte eine
Weitere Kostenlose Bücher