Jenseits der Augenlider: Garandors Licht (German Edition)
Bloß noch ein Stück, dann spürst du die knusprige, knisternde Luft des Gebirges. Dann werden wir Waldoran und Lannus erblicken und sie werden uns hinausziehen.“ Dante hatte die Hoffnung noch nicht vollständig aufgegeben und grub eisern weiter.
Mittlerweile standen sie nicht mehr auf dem Pfad, sondern auf einem stets höher werdenden Berg aus Schnee. Ihre Stiefel gruben sich in den Hügel und sie sackten häufig ein, doch gerade als Garandor sein Haupt zum wiederholten Male hängen ließ, brach Dante ein kreisrundes Loch in die Schneedecke.
„ Garandor. Sieh her, wir sind frei.“ lachte er und begab sich an die Arbeit, das Loch zu vergrößern. Nach einer Weile kletterte der erleichterte Krieger hinaus, dicht gefolgt vom vollständig aufgelösten Zwerg. Beide sogen zuallererst die Luft in tiefen Zügen ein und genossen jeden einzelnen Herzschlag. Dann blickten sie sich um.
Sie konnten beinahe nicht mehr ausmachen, wo der Weg sich befunden hatte. Alles war von einer bis zu etwa acht Schritt hohen Schicht aus Schnee und Eis bedeckt. Ihr Mut schleppte sich fort.
„ Verflucht.“ zischte Dante gedämpft, den Fehler der dieses Chaos verursacht hatte, nicht wiederholen wollend. „Es wird unmöglich, Waldoran und Lannus wiederzufinden. Womöglich sind sie ebenfalls von einer Schneedecke eingeschlossen worden.“ fuhr er etwas aufgebracht fort.
„ Ich denke nicht.“ antwortete Garandor erstaunlich gelassen, seine Ruhe war – vermutlich dank der Aussicht auf die atemberaubenden Berge – augenscheinlich wiedergekehrt.
„ Ich kann mir nicht vorstellen, dass Waldoran sich begraben lässt. Er ist ein Elf.“
„ Vermutlich hast du Recht. Ich schlage vor, wir machen uns auf die Suche.“ Aus der Tatsache, dass Garandor seine Angst verdrängt hatte, schöpfte auch Dante Mut.
„ Mit Sicherheit sind sie rechtzeitig in einen Spalt gekommen und harren dort aus; vorausgesetzt sie haben sich nicht bereits befreit.“ nickte der Steinmetz nachdenklich. „Weit können sie nicht sein.“
Relativ frohen Mutes ließen die beiden Auserwählten sich auf die Knie fallen und krabbelten aufwärts; den Berg stets in Spiralen umkreisend, da eine direkte Route zur Spitze trotz der aufgehäuften Schneemassen nicht sichtbar war.
Als ihre Kraft aus den Beinen wich, begannen Zweifel sich ihren Weg durch die eisige Landschaft zu bahnen und attackierten ihren fragilen Mut.
„ Wir sollten bereits zu ihnen aufgeholt haben.“ konstatierte Garandor mit spürbarer Müdigkeit in seiner regnerischen Stimme.
„ Sie können unmöglich weiter gekommen sein. Zudem hätten sie sich auf die Suche nach uns gemacht, nicht wahr.“ Tonlos.
„ Du hast Recht, Garandor. Doch hinabzusteigen ist keine Option.“ Die Müdigkeit lauerte mittlerweile auch auf Dante. Allerdings konnten sie an dieser Stelle nicht rasten, sondern mussten warten, bis sie auf etwas flacheres Terrain stießen.
„ Der Weg führt also in die Höhe.“ Als Garandor dies sagte, bekam der junge Krieger erneut Mitleid mit ihm. Wie das Wimmern eines verwundeten Bären klang es, wenn Garandor betrübt war.
„ In die Höhe.“ Tapfer erklommen die Beiden den steilen Hang. Ihr anfängliches Glück, dass es nicht geschneit hatte, hielt dem Schwermut der Situation nicht mehr stand. Dicke Flocken suchten ihren Weg in die Kleidung der Wanderer. Die Hinterlistigen fanden die Augen. Nicht nur die allgemeine Müdigkeit spielte nunmehr eine Rolle, sondern auch die Tatsache, dass jeder Schritt durch die wachsende Schneeschicht auf dem Boden beschwerlicher und gefährlicher wurde, sie verlangsamte.
Jedes Mal, wenn sie auf die Seite gelangten, an welcher die Lawine sich auf die Gruppe gestürzt hatte, mussten sie über einen besonders hohen Schneeberg klettern. Garandor fiel bald auf, dass ihre Kreise einen stets schmaleren Umfang bekamen und bald erspähte er die absonderliche Brücke, über die sie zu gehen hatten, um auf den nächsten Gipfel zu gelangen. Von Waldoran und Lannus war jedoch keine Spur zu sehen.
Urplötzlich schoss Dante ein lähmender Gedanke durch den Kopf. Der schwarze Punkt in der Ferne, der Spähtrupp. Er hatte ihn im Chaos vollkommen vergessen. Der junge Krieger öffnete bereits seinen Mund, doch schloss ihn umgehend wieder, als er daran dachte, in welch eine Panik sein Begleiter geraten würde. Garandor konnte mit dieser Information herzlich wenig anfangen. Er sollte besser warten, bis sie Waldoran fanden.
Verflucht
. Sie durften den Elfen nicht verlieren.
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