Jenseits der Eisenberge (German Edition)
über die Eisenberge zu dieser Jahreszeit meiden sollte, man kann nie wissen, wann Schneestürme auf einen niedergehen.“ Er lächelte bedauernd. Jedenfalls hoffte er das. „Es war mein Freund, der Dummheiten begangen hat, nicht ich. Er ist für sich selbst verantwortlich, wie alle Söldner ohne feste Verpflichtung. Sein Schicksal ist bedauerlich, aber ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern. Vielleicht schicke ich dem Fürst von Irtrawitt einen Brief und frage, ob ich ihm diesen Sklaven abkaufen kann, wenn er denn noch lebt.“
„Nun, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Ganz sicher verkraftest du es nicht, auch nur einen Tag länger von Weib und Kind getrennt zu sein, nicht wahr? Ach warte, dein Weib erträgt ja den Aufenthalt in der Weidenburg nicht. Das muss dich fürchterlich schmerzen.“
Lys stand auf und ließ dabei absichtlich seinen Siegelring fallen. Es gab ihm Gelegenheit, sich zu bücken und so sein Gesicht für einen Moment zu verbergen. Sich zu sammeln, um sich nicht durch offenen Hass zu verraten.
„Wie recht Ihr habt! Ihr kennt diesen Schmerz ja noch viel besser als ich, nicht wahr?“, sagte er dabei heiter und starrte ihm dann offen in die Augen.
Maruv blinzelte kurz, als einziges Zeichen dafür, dass Lys ihn getroffen hatte. Der Tod all seiner Frauen, die ihm kein lebensfähiges Kind hatten schenken können, war eine Wunde, die der König niemals verschmerzen würde. Gleichzeitig drohte Lys ihm damit im Verborgenen – wagt es nicht, Elyne oder meinen Sohn anzurühren! Wären sie nicht unter sich gewesen, hätten sie sich niemals so offen begegnen können.
„Wollen wir hoffen, dass Schmerz etwas ist, das du niemals wieder erfahren musst.“ Maruvs Stimme klang gepresst bei diesen Worten. Eine Drohung seinerseits? Oder lediglich Spott? Lys wusste es nicht, doch es schadete nie, vom Schlimmsten auszugehen.
Er verneigte sich tief und verließ den Raum mit gemessenen Schritten. Der Diener war fort, also suchte er sich allein den Rückweg. Ein wenig wunderte er sich darüber, aber möglicherweise hatte Maruv eine längere Audienz geplant gehabt und der Diener war zwischenzeitlich kurz einem anderen Auftrag gefolgt?
Beinahe wäre er in einem engen Gang mit einer Gestalt zusammengestoßen, die dort im Schatten verborgen stand. Es dauerte mehrere Augenblicke, bis Lys die himmelblaue Robe erkannte – ein Priester des Himmelvaters.
„Herr.“ Er neigte respektvoll den Kopf und trat zur Seite, um den Priester vorbeizulassen. Doch der winkte bloß stumm und verschwand dann durch eine Tür, die Lys bis dahin nicht bemerkt hatte. Dahinter befand sich eine Steintreppe, die in die Tiefe führte. Neugierig, aber dennoch vorsichtig folgte er dem Fremden. Es war leicht, sich eine Robe überzustreifen, nicht selten verbarg sich ein Meuchelmörder darunter. Priester genossen Ansehen in Onur, sie kümmerten sich – zumeist – aufopferungsvoll um Arme und Kranke und durften ungehindert überall hingehen. Nach eigener Macht verlangte sie gewöhnlich nicht, selten geschah es, dass ein Adliger den Ratschlägen eines Geistlichen verfiel und so von ihm gelenkt wurde. Andererseits war es wenig wahrscheinlich, dass ein Attentäter sein Opfer erst zu sich lockte, statt es einfach von hinten zu erstechen. Er entspannte sich etwas und versuchte, sich den Weg durch diese Gänge zu merken, die anscheinend zum alten und wenig genutzten Teil Purnas gehörten: Spinnweben und Staub überzogen alle Wände, soweit es im schwachen Fackellicht erkennbar war, die Decken waren niedrig, der Teppich über dem Steinboden zerschlissen.
Lys fand sich schließlich in einer niedrigen Kammer wieder, ein fensterloser Raum, der nur von einigen Kerzen erhellt wurde. Er gehörte offensichtlich dem Priester: Neben einem schmalen Bett fand sich noch ein Schreibpult, eine Truhe und ein Gebetsschrein darin. Verwirrt schüttelte Lys den Kopf. Er wusste, dass Maruv die Priester geringschätzig behandelte, da er jeglichen Glauben an die Götter verloren hatte. Mehr noch, der König machte die Priester für seine Kinderlosigkeit und den Tod seiner Frauen verantwortlich. Wenn er gekonnt hätte, wäre er womöglich gegen alle Geweihten Onurs vorgegangen. Alles war denkbar, bis hin zum Verbot des Glaubens; lediglich das Wissen, zu welchem Aufstand ein solcher Schritt führen wurde, hatte wohl Maruv davon abgehalten. Unwillig duldete er auch weiterhin die Anwesenheit der Priester in Purna. Doch welcher Diener des Großen Vaters ließ
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