Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Euch nicht raten oder gar befehlen, junger Fürst von Corlin. Dass Ihr Eurem Geliebten folgen werdet, kann ich nicht verhindern – vermutlich könnte dies niemand. Ihr braucht mir nicht zu antworten, wenn Ihr fürchtet, nicht offen sprechen zu können. Falls Ihr wünscht, dass die Priesterschaft Euch zur Seite steht, dann nickt mir zu. Unsere Macht liegt im Verborgenen. Wir können die Verteidiger von Weidenburg warnen, sobald Maruv sie angreift, was nur eine Frage der Zeit ist. Wir können den Aufbruch einer Armee hinauszögern, nicht lange, für ein bis zwei Tage vielleicht. Wir können Nachricht zu unseren Brüdern und Schwestern jenseits der Eisenberge schicken und sie bitten, Euch zu helfen.“
„Und was verlangt Ihr dafür?“, flüsterte Lys nahezu lautlos.
„Das, was ich schon sagte. Überlebt und kehrt zurück, um den Thron zu besteigen. Ihr werdet keine Wunder wirken können, bloß weil Ihr eine Krone tragt, doch Ihr werdet diesem Land Gutes schenken. Ihr seid ein Mann, der hohe Ideale pflegt, ohne die Naivität, die normalerweise daraus folgt. Auch, wenn Ihr noch unsicher seid, Ihr könntet es schaffen, das Spiel zu beenden.“
„Ihr verlangt viel“, wisperte Lys. „Zu überleben könnte bedeuten, dass ich Kirian im Stich lassen muss.“
„Es wäre ein großes Opfer, gewiss. Niemand könnte Euch dazu zwingen, sollte es zu einer solchen Entscheidung kommen, auch nicht ein Versprechen, das Ihr einem Gottesdiener gegeben habt. Trotzdem genügt mir ein Zeichen Eurer Bereitschaft, um Euch die Hilfe der Priesterschaft sichern zu können.“
Einige Augenblicke lang kämpfte Lys mit sich. Dann schüttelte er den Kopf.
„Ich kann Euch dieses Wort nicht geben, denn ich weiß, dass ich es brechen würde. Ich beabsichtige nicht, mich leichtsinnig dem Tod in die Arme zu werfen, doch ich werde alles auf mich nehmen, wenn ich Kirian dadurch retten kann. Ich kann Euch nicht versprechen, dass ich überlebe und zurückkehre, oder auch nur, dass ich den Thron um jeden Preis besteigen will. Das Spiel zu beenden ist mein Ziel, aber ich habe gelernt, dass Mut, Klugheit oder Geschick nicht ausreichen, um Sieger zu bleiben. Kirians Schicksal ist das beste Beispiel dafür, dass nichts gewiss ist.“
Der Geweihte musterte ihn schweigend. Lys’ Antwort schien ihn weder zu überraschen noch zu verärgern, beinahe, als hätte er damit gerechnet.
Lys wartete, ob der Priester noch etwas sagen würde; als der ihm zunickte, wandte er sich stumm zur Tür, zögerte, dann trat er noch einmal zurück.
„Wenn es in Eurer Macht steht, Weidenburg zu warnen, sobald der Angriff erfolgt, flehe ich Euch an, lasst nicht die Schuldlosen sterben für die Dummheit ihres Herrn. Helft ihnen zu entkommen.“
Das hagere Gesicht des Priesters verriet nicht, was er dachte. Mit keiner Geste, keinem Blick zeigte er, ob er Lys’ Bitte überhaupt gehört hatte.
Schließlich drehte sich Lys um und verließ mit gesenktem Kopf den Raum. Am liebsten wäre er zurückgelaufen, um sich dem Priester zu Füßen zu werfen und demütig um Vergebung zu betteln. Doch nicht nur sein Stolz hinderte ihn daran, sondern auch das Wissen, er würde ihm keine andere Antwort geben können als zuvor. Er konnte und wollte nicht versprechen, was außerhalb seiner Kontrolle lag!
Lys zuckte zusammen, als er einen Schatten auf sich zukommen sah, entspannte sich aber, als er erkannte, wer sich so leise nähern konnte: eine Frau in erdbrauner Robe; eine Priesterin der Erdmutter. Sie sprach kein Wort, legte hastig den Finger an die Lippen, als Lys ansetzte zu sprechen. Immer noch schweigend ergriff sie seine Hand und legte ein kleines, silbernes Amulett hinein, ohne Schmuck oder andere Zeichen, die etwas über seinen Zweck verraten hätten. Das Amulett hing an einer silbernen Kette, ein hübsches Stück ohne erkennbaren Wert. Sie schloss seine Finger darüber und beugte sich dicht an sein Ohr.
„Verwahrt es! Stellt keine Fragen, verwahrt es, um jeden Preis, beschützt es mit Eurem Leben. So die Götter es wollen, werdet Ihr es brauchen.“ Sie lächelte nicht, sah ihn lediglich aufmerksam an. Dann verschwand sie, still und leise. Lys schüttelte nur den Kopf, steckte aber das Amulett ein. Die Gabe einer Priesterin schlug man nun einmal nicht aus. Einen Moment lang starrte er in die Ferne, als gäbe es keine Wände, die seinen Blick hinderten.
Irtrawitt. Das war sein Ziel. Dorthin musste er gehen und riskieren, Weidenburg schutzlos preiszugeben …
4.
Kalt … es
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