Jenseits der Eisenberge (German Edition)
seinem vom Trauer und Entsetzen gelähmten Verstand, dass man ihn aufgrund seiner ärmlichen Kleidung für einen Diener oder Knecht hielt.
„Großherr Nikor von Dunkart“, stieß er hastig hervor. Dunkart war eine völlig bedeutungslose Provinz an den östlichen Meeresküsten, unwahrscheinlich, dass hier überhaupt jemand diesen Namen kannte.
„Soso, ein Großherr.“ Unbeeindruckt starrte der Hüne auf ihn nieder. Lys war es nicht gewohnt, zu jemandem aufblicken zu müssen. Am liebsten hätte er sich losgerissen, diese von allen Schattenfressern verfluchten Kerle erschlagen! Doch es wäre Selbstmord gewesen es zu versuchen, also atmete er tief durch und senkte den Kopf. Dass er vor kaum unterdrückbarem Zorn zitterte, sollten die Soldaten ruhig für Angst halten.
„Was wollte er denn hier, dein Großherr?“ Der Mann gab ihn frei, seine Frage klang diesmal freundlicher.
„Ich weiß es nicht“, murmelte Lys und ließ sich dabei niedersinken. Erek war tot. Lys schloss ihm die halb geöffneten Lider und zerrte an Ereks Umhang, bis er ihn über die tote Gestalt legen konnte; dann trat er ungehindert zu Nikor, um für ihn das gleiche zu tun.
„Wir wurden von unserem Gefolge getrennt. Am Pass. Nur die beiden Herren und ich waren noch zusammen“, fuhr er leise fort, noch immer auf den Knien zwischen seinen beiden toten Begleitern. Seinen Freunden. Es war seine Schuld, dass sie sterben mussten. Die Lügen flossen über seine Lippen, ohne dass er nachdachte, was er eigentlich erzählte.
„Herr Nikor hat mir nicht gesagt, warum er über den Pass wollte. Er – wie hätte ich fragen können?“ Die Wut verging, zurück blieb nichts als erschöpfte Leere.
Widerstandslos ließ er sich in die Höhe zerren, wehrte sich nicht, als sie ihm die Hände auf den Rücken fesselten.
„Wie heißt du, Junge?“
„Erek“. Lys biss sich auf die Lippen, hielt den Blick gesenkt. Im Stillen bat er den Toten um Vergebung, dass er nun auch noch seinen Namen missbrauchte, um sich selbst zu schützen. Zu wissen, dass Erek ihm dafür dankbar gewesen wäre, machte es nicht leichter für ihn.
„So, dann komm. Du musst zum Layn, er entscheidet, wie das mit dir weitergeht. Immerhin hast du Ruquinn erschlagen, das ist keine Kleinigkeit.“
Die Männer murmelten leise hinter seinem Rücken, lachten dabei. Lys wurde das Gefühl nicht los, dass sie über ihn lachten. Wäre er nicht zu betäubt gewesen, hätte er sich gefürchtet. Was auch immer Layn Kumien entscheiden würde, es sah nicht so aus, als würde sein Schicksal sich zum Besseren wenden …
10.
„Lamár?“
Er blickte auf, als Arkin ihn rief.
„Heute werden wir nicht in die Mine gehen, die Priester sind gekommen!“, verkündete Arkin strahlend. Es war noch früh am Morgen, er war gerade von draußen zurückgekommen, wo er sich mit Pocil, wie üblich, über die Pflichten des Tages abgesprochen hatte. Lamár zuckte zusammen. Schon seit mindestens einer Woche hatten ihn keine Kopfschmerzen gequält, doch Arkin hatte kaum ausgesprochen, als das gefürchtete Pochen in seinem Schädel begann. Er versuchte es zu ignorieren, möglichst an nichts zu denken. Das hatte sich als die einzige wirksame Hilfe herausgestellt, wie er sehr schnell gelernt hatte, genauso wie intensives Nachdenken über seine verlorene Vergangenheit der sicherste Auslöser war.
„Die Priester waren lange nicht mehr da, es wird Zeit“ rief Irla erfreut. Allgemeine fiebrige Aufregung breitete sich aus. Die Aussicht auf einen arbeitsfreien Tag mit gutem Essen für alle, Gebeten und Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen mit den Geweihten versetzte selbst diejenigen in Hochstimmung, die sonst nie eine Gefühlsregung zeigten. Die Kinder wuselten aufgeregt umher, ausgelassen, wie Lamár sie bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Sogar die kleine Marjis zeigte einen Hauch von Lächeln. Die Frauen eilten aus der Hütte, sie würden bei den Vorbereitungen des Festessens helfen. Lamár wurde umhergeschickt, holte Feuerholz, trug Werkzeug und Körbe mit Gestein aus dem Weg, packte überall mit an, wo seine Kraft nützlich war. Doch er konnte nicht verbergen, dass er sich als Einziger nicht auf die Priester freute. Wann immer er das Wort „Geweihter“ hörte, verstärkte sich das Klopfen hinter seiner Stirn, bis er fürchtete, dass jeden Moment irgendetwas platzen würde.
„Ist es wieder schlimm?“ Orchym klopfte ihm leicht auf die Schulter und betrachtete ihn dabei mit einem mitfühlenden Lächeln. Lamár
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