Jenseits der Eisenberge (German Edition)
keineswegs eine Bitte war.
Lamár starrte blicklos auf den Boden unter sich, weiterhin in schutzsuchender Haltung zusammengerollt. Ein Teil seines Bewusstseins plante aufzuspringen, Mattin und Pocil ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen und dann spontan zu entscheiden, wie es weitergehen sollte. Er konnte sich genau vorstellen, diese Bewegungen und Handlungen auszuführen, er spürte die Spannung seiner Muskeln, den dumpfen Schmerz seiner Fingerknöchel, sobald er Mattins Kiefer zertrümmern würde. Den Triumph beim Anblick, wie dieser kleine Wichtigtuer wimmernd im Staub lag und um Gnade flehte … Doch obwohl er nichts mehr wünschte, als genau das zu tun, regte er sich kein Stück. Dazu kam eine losgelöste Empfindung, sich selbst dort wie ein Wurm im Staub liegen zu sehen, sich innerlich anzuschreien, endlich aufzustehen und zu kämpfen.
Und da war dieses Etwas in seinem Hinterkopf, das darüber nachdachte, ob diese demütige Ergebenheit etwas mit seinen beständigen Kopfschmerzen zu tun hatte. Ob es nicht sogar klug war, sich schwach und hilflos zu zeigen, um die anderen Sklaven nicht zu gefährden; wie lange es dauern mochte, an Scham zu sterben, wenn er hier liegen blieb. Ob er es ertragen würde, zu verdursten oder vielleicht auch dafür zu schwach war und ob sich so Wahnsinn anfühlte, denn wer so viele Gedanken gleichzeitig hatte, musste einfach wahnsinnig sein!
„Wenn das so ist, will ich nicht den Verstand verlieren, es ist so anstrengend …“, murmelte er zusammenhanglos.
„Ein guter Gedanke, mein Sohn. Halt ihn fest, dann mag dein Vorhaben gelingen“, sagte der Fremde über ihm. Lamár hatte ihn völlig vergessen, was jenen kämpferischen Teil seines Bewusstseins in Panik versetzte. Er schloss die Augen, er war müde, er hatte Schmerzen und ihm war egal, wer dort mit heiterer Stimme zu ihm sprach.
Der Fremde kniete sich neben ihm nieder und berührte ihn sanft an der Schulter. Lamár hielt die Augen geschlossen. Vielleicht würde er verschwinden, wenn man ihn nur lange genug ignorierte?
„Du bist der, den sie Lamár nennen?“, fragte der Mann. Etwas an der Wortwahl hieß den Kämpfer in ihm innerlich zum Säbel zu greifen.
„Man sagt, du hast all deine Erinnerungen verloren.“
Widerwillig knurrte Lamár etwas, was nach Zustimmung klingen sollte.
„Man sagte mir, du bist geisteskrank und möglicherweise gefährlich, weil du früher einmal ein Söldner gewesen sein musst und noch die alten Kampfreflexe besitzt, diese aber nicht bewusst kontrollieren kannst.“
Lamár nickte dem Boden zu. Angst kroch wie ein Raubtier auf der Jagd in ihm hoch, bereit, seinen letzten Widerstand niederzureißen. Dieser Mann dort, der so behutsam sprach und so fürsorglich die Hand auf seine Schulter legte, er war gefährlich. Weitaus gefährlicher als Pocil mit all seinen Wächtern.
„Ich weiß, dass nahezu nichts davon wahr ist“, flüsterte der Fremde. Das nur allzu vertraute Pochen hinter seiner Stirn setzte ein. Lamár versuchte, sich von dem Mann abzuwenden, doch der Baumstamm war im Weg. Leise wimmernd hob er den rechten Arm, um seinen Kopf darunter zu verbergen. Eine kühle Hand packte ihn am Gelenk und hielt ihn auf.
„Du bist nicht krank. Du bist ein Krieger, kein Söldner. Dein Name ist nicht Lamár.“ Es gab kein Entkommen vor dieser Stimme, vor den Worten, die in seinem Kopf widerhallten und den glühenden Schmerz zu einem reißenden Feuer entfachten. Lamár schrie, bis er keine Luft mehr bekam, kämpfte verzweifelt gegen diesen Feind, der ihn ohne Mühe am Boden hielt.
„Das Einzige, was der Wahrheit entspricht“, fuhr der Mann fort, als Lamár erschöpft in sich zusammensank, „du bist gefährlich. Weil du gefährlich bist, hat man dich hierher geschickt. Weil du gefährlich bist, haben wir dich gerettet. Ein König hatte dich vernichten wollen, er glaubt gesiegt zu haben. Aber es gibt Hoffnung. Du bist stark, du musst weiterkämpfen.“
Keuchend lag Lamár da, mit dem Gesicht zu Boden gedrückt. Er atmete Staub ein, schweißnasse Haarsträhnen klebten an seinen Wangen, Tränen rannen ihm in den Mund. Jener von allen Dingen losgelöste Teil seines Bewusstseins lachte über diesen Narren, der ihn niederhielt und von „Stärke“ und „Hoffnung“ sprach.
Kraftvoll drehte der Fremde ihn auf den Rücken, Lamár konnte und wollte sich nicht dagegen wehren.
„Sieh uns an!“, befahl der Mann. Lamár blinzelte. Er war von mindestens einem halben Dutzend Gestalten umringt, in
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