Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Tag lang allein in seinem Schlafgemach sitzen lassen – erneut angekettet wie ein wildes Tier, und ohne Kleider diesmal. Er wollte nicht riskieren, dass seine Beute ihm entwischte, und noch war Erek nicht soweit gezähmt, dass er ihm bedingungslos vertrauen wollte. Die Diener hatten ihm erzählt, dass der junge Mann sich mit keinem Wort beklagt, sondern im Gegenteil für jedes bisschen Aufmerksamkeit wie Essen oder Wasser bedankt hatte. Wie geschickt der Junge zu verbergen wusste, wer er wirklich war!
Nun war es bereits wieder dunkel geworden und Kumien kniete erneut neben seinem Opfer nieder. Er schlief nicht, war aber auch nicht richtig bei Bewusstsein, trieb wohl mit offenen Augen im Nichts dahin. Anspannung und Schmerz zeichneten das schöne Gesicht, kein Wunder, nachdem er so viele Stunden auf kaltem Gestein liegen musste. Zudem mit nur einer einzigen kurzen Gelegenheit sich ein wenig zu bewegen, als ihm zur Mittagsstunde erlaubt wurde, zum Abtritt zu gehen. Die nackte, helle Haut war marmoriert vor Kälte. Kumien genoss die Macht, die er über diesen Mann hatte. Ihn zu brechen wäre so leicht, er müsste ihm lediglich ausreichend Gewalt und Grausamkeit antun … Ihn gefügig zu machen würde etwas länger dauern, da Erek so wenig Widerstand leistete, dass es schwer sein würde zu entscheiden, ob er gebrochen war oder sich lediglich aus freien Stücken beugte. Aber Kumien war weiterhin entschlossen, es nicht soweit kommen zu lassen. Er wollte, dass Erek freiwillig zu ihm kam und sich aus Liebe, nicht aus Angst oder Zwang unterwarf. So etwas hatte er noch nie versucht, sich noch nicht einmal in seinen Träumen ausgemalt; seit gestern Nacht jedoch wünschte er sich nichts anderes mehr.
Du wirst mir dein Herz schenken, oh ja!
Es überraschte ihn selbst, dass er sich so etwas wünschte. Geplant hatte er es nicht. Erek hatte etwas an sich, dass seine Umgebung in seinen Bann zog – die Diener redeten über ihn, die Soldaten die ihn gefangen hatten. Selbst Maggarn war verwirrt. Kumien hatte geplant, diesen unverschämten Eindringling zu vergewaltigen und zu quälen, bis dieser alles verraten hatte, was er über Onur wusste. Dieser Narr von einem König hatte nicht bedacht, welchen Wert solch ein Gefangener wirklich besaß! Doch als er ihn von Nahem gesehen hatte …
Erek hatte ihn noch immer nicht wahrgenommen.
Kumien strich ihm sanft über den Kopf. Sofort schloss der junge Mann die Augen, zuckte vor ihm zurück, mit einem verängstigten Laut auf den Lippen.
„Wach auf“, sagte Kumien, streichelte ihm dabei weiter langsam und beruhigend über Stirn und Wangen, durch sein Haar, dessen Farbe ihm so gut gefiel; blond war in Irtrawitt sehr selten.
Erek wimmerte leise, er musste starke Schmerzen haben.
„Nun komm, wach auf“, forderte Kumien mit etwas mehr Nachdruck. Sein Gefangener blinzelte, versuchte vergeblich, den Kopf zu heben und schmiegte sich für einen Moment an Kumiens Hand. Womöglich suchte er die Wärme oder erhoffte sich Halt; es brachte Kumien trotzdem zum Lächeln.
„Mebana?“ Erek seufzte schlaftrunken und richtete sich auf. Furcht flackerte in seinem Blick, als er sich mühsam hinsetzte, dabei die Beine an den Leib zog, um seine Blöße zu verdecken. Der leidvolle Laut, den er dabei nicht unterdrücken konnte, berührte Kumien viel stärker, als er sich selbst eingestehen wollte.
„Warte, ich mache dich los.“ Kumien zog ihn an sich, um an das Schloss des Stahlhalsbandes zu gelangen. Erek versteifte sich einen Moment lang, fast unmerklich, dann folgte er der Hand in seinem Nacken und lag still mit dem Kopf an Kumiens Schulter.
„Du bist ja halb erfroren“, tadelte er, als wäre es Ereks Schuld, und hielt ihn weiter umarmt, auch nachdem er ihn bereits von der Kette befreit hatte. Es gefiel ihm, so dazusitzen und den zitternden Mann zu wärmen. Er streichelte ihn sacht, immer darauf bedacht, keine der Wunden zu berühren und ungewollt Schmerz zu verursachen. Es weckte sein Verlangen, mehr aber noch den Wunsch, ihn zu beschützen.
Wie seltsam …
„Mebana, darf ich etwas fragen“, flüsterte Erek irgendwann, ohne sich von ihm zu lösen.
„Natürlich.“
„Meine … Brüder, was ist mit ihnen geschehen? Hat man sie …?“
„Sie wurden im Feuer bestattet, ihre Asche in der Erde begraben, gemeinsam mit jenen, die ihr erschlagen habt. Wir führen keine Feindschaft über den Tod hinaus.“ Kumien konnte sich gerade noch daran hindern, Erek zu küssen, als der junge Mann ihm
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