Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Ereks seelenvollen braunen Augen, Kumien genoss diesen Anblick.
„Warst du den ganzen Tag hier?“ Er wies auf die Regale hinter Erek, die mit Büchern und Pergamenten gefüllt waren. Der junge Mann liebte diese Sammlung, die schon Kumiens Urahnen begonnen hatten. Als er nach dem Buch griff, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag, errötete Erek schuldbewusst.
„Gesetze und Gebote“. Kumien schmunzelte – welcher kleine Bastard griff nach einer Gesetzessammlung eines Landes, in dem er Sklave war, und ließ dafür weitaus spannendere Werke unbeachtet stehen?
„Ich wollte …“, begann Erek, errötete noch tiefer und senkte den Kopf. Kumien strich ihm durch das Haar und lächelte wissend.
„Es ist nicht verboten, Gesetze zu lesen“, sagte er spöttisch. „Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.“
Lys folgte gehorsam und versuchte abzuschätzen, wie viel Kumien bereits erahnen konnte. Noch fühlte er sich einigermaßen sicher, doch ihm war klar, dass seine Zeit ablief. Er musste endlich etwas über Kirian herausfinden! Seine bisherigen Versuche, die Dienerschaft unauffällig auszuhorchen, waren allesamt fehlgeschlagen. Er wusste nicht einmal, Kirian jemals Irtrawitt betreten hatte. Seit drei Tagen durchwühlte er nun die Bibliothek, um herauszufinden, wohin man Sklaven üblicherweise brachte, wie die Gesellschaft in diesem Land aufgebaut war, mit welchen Reichen Handel getrieben wurde, wo sich die berühmten Eisenerzminen befanden und vieles mehr.
Dabei war ihm einmal mehr bewusst geworden, wie abhängig die halbe Welt tatsächlich von Irtrawitt war: Neben Eisenerz belieferte es über Onur zahlreiche Nachbarländer mit Salz, hochwertigem Ton, Kalkstein, das unentbehrlich zur Eisenverhüttung war – käme der Handel mit Onur zum Erliegen, könnte Irtrawitt all seine Nachbarreiche wirtschaftlich in die Knie zwingen. Zumal bloß zwei sichere Wege über die Eisenberge führten, die Irtrawitt vom gesamten Flachland trennte und schützte. Der Eisenpass war der schnellste Weg, doch lediglich wenige Monate im Jahr zu nutzen. Die andere Straße zwang die Händler zu langen Umwegen, war dafür aber bei nahezu jeder Jahreszeit begehbar. Sie wurde scharf bewacht, um die Sicherheit der Händlerzüge zu garantieren. Im Kriegsfall müsste Kumien nur diesen Übergang sperren lassen, einige Wächter an den Eisenpass stellen, und niemand käme mehr rein. Aber eben auch nicht heraus …
Das Gebirge, das Irtrawitt schützte, war sein Fluch – wenn Onur sich sperrte, kam der Handel vollständig zum Erliegen. Aus diesem Grund konnte Onur hohe Zölle fordern, und wie es in Lys’ Heimat nun einmal üblich war, gab es auch hier ein verzweigtes System: Jeder Adlige mit Landbesitz durfte von den Händlern Wegegeld fordern und die Höhe selbst bestimmen. Die Händler mussten sich entscheiden, ob sie die kürzesten Strecken nahmen und dafür teuer bezahlen mussten, oder lieber einen Umweg hinnahmen, der sie günstiger kam. Die Wagemutigsten unter ihnen verließen die offiziellen Handelsstraßen und versuchten ihr Glück auf den kostenfreien Landwegen … Immer mit der Gefahr, Räuberbanden zum Opfer zu fallen. Von dem Wegegeld musste der zehnte Teil an den König abgegeben werden, der sich im Gegenzug verpflichtete, die großen Handelsstraßen, vor allem aber die Pässe nach Irtrawitt zu schützen. Maruv bezahlte nun Kumien dafür, dass die größte Zahl der Handelskarawanen über die kurzen, teuren Wege zog. Ein wunderbares, in sich geschlossenes System, das dadurch gestützt wurde, dass die Nachbarländer Maruv den Krieg erklären könnten, würde der Handel durch seine Schuld zusammenbrechen. Während es in Kumiens Interesse lag, seine Händler auf schnellstem und sicherstem Wege zum Ziel gelangen zu lassen und er darum die Preise für die Waren niedrig genug hielt, dass alle profitierten.
Verständlich, dass Kumien alles versucht, um Maruv bei Laune zu halten, dachte Lys verbittert.
Da ein Layn zahlreichen Pflichten nachkommen musste, hatte Kumien nicht viel Zeit für ihn. Zumeist sahen sie sich nur morgens zu einem gemeinsamen Frühstück und am späten Abend. Kumien hatte seit der ersten Nacht nicht mehr offensiv versucht, ihn zu verführen. Er berührte ihn häufig, mal zärtlich, mal neckend, doch niemals intim. Seine Absicht war klar: Lys sollte freiwillig in seine Arme sinken.
Ich muss stark bleiben, für Kirian! Nur seinetwegen bin ich hier, nicht zum Vergnügen. Lynn wartet auf mich …
„Lass dir von Maggarn
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