Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Abgesehen von Maggarn ließ ihn niemand spüren, dass er nur ein Sklave war. Nicht einmal Kumiens Söhne, die von mehreren Frauen geboren wurden und hier im Palast erzogen wurden.
Es war ein Leben wie in einem Traum, ein süßer Traum von sorglosem Glück. Mit jedem Tag fiel es ihm schwerer, Widerstand gegen Kumiens aufmerksame Zärtlichkeit zu leisten. Der Layn war ein kluger Mann mit feinem, sensiblem Sinn für Humor und Stimmungen. Er spürte es, wenn Lys Abstand brauchte oder zugänglich für Berührungen und Nähe war. Noch immer suchte Lys unentwegt nach einem Zeichen, einem Hinweis, nach irgendetwas, was ihn zu seinem Liebsten führen könnte, doch vergebens. Langsam begann er zu fürchten, dass Kirian vielleicht bei der gefahrvollen Überquerung des
Eisenbergpasses umgekommen war … und erwischte sich immer häufiger dabei, aufgeben zu wollen. Kirian als verlorene Erinnerung zu betrauern und in Kumiens Arme zu sinken, gleichgültig, wie sicher er wusste, dass dieser Traum bald enden würde. Seine wahre Identität würde sich nicht dauerhaft verbergen lassen, ob er sich nun selbst verriet oder nicht, denn Kumien wollte die Handelsbeziehungen mit Onur verstärken. Zudem weigerte sich alles in Lys, dem Werben eines solch edlen Mannes nachzugeben und eine Beziehung zu beginnen, die auf Lügen gründete. In dem Moment, in dem Kumien erfuhr, wer er wirklich war, wäre sein Schicksal besiegelt …
Lys genoss einen Moment der Schwäche, als er sich an Kumiens Brust lehnte und von ihm umarmen ließ. Mit jedem neuen Tag schlich sich mehr Vertrautheit ein, wurden die Berührungen inniger und Lys Verlangen größer. Er verharrte mit geschlossenen Augen in dieser Umarmung, wandte leicht den Kopf zu Kumiens Hals, um seinen warmen Duft einfangen zu können. Eigentlich war er etwas größer als der Layn, aber da dieser einen Schritt hinter ihm stand, glich sich das aus.
„Wieder so nachdenklich?“, flüsterte Kumien ihm ins Ohr, küsste ihm sacht auf das Haar und ließ ihn dann los.
„Vergebt mir, Herr. Gerade weil es an nichts mangelt und ich mehr habe als ich brauche, kann ich nicht vergessen, was ich verloren habe.“
„Das sollst du auch nicht. Alles, was du zurücklassen musstest, hat dich doch erst zu dem Mann geformt, der du heute bist.“
Lys nickte, krampfte dabei unwillkürlich eine Hand in den Stoff seines Umhangs, den er gegen die kühlen Herbstwinde trug.
„Komm mit mir, Erek. Ich will deinen Rat in einer schwierigen Angelegenheit hören.“ Kumien ergriff seine Hand und zog ihn mit sich. Auf den Weg zurück in den Palast erzählte er, was er sich diesmal als Fangstrick für seine widerstrebende Beute ausgedacht hatte:
„Eine Frau aus einem meiner Dörfer ist angeklagt, ihren Mann erschlagen zu haben. Sie gibt es sogar zu, behauptet allerdings, es wäre zur Verteidigung ihres eigenen Lebens und dem ihres Kindes geschehen, denn der Mann war volltrunken und hätte sie beide mit dem Messer angegriffen.“
Lys blieb stehen und betrachtete Kumien verwirrt.
„Mebana, dafür habt Ihr ein eindeutiges Gesetz: Die Frau muss Blutstrafe an die Familie ihres Mannes zahlen, trägt aber sonst keine Schuld, da es kein Mord war.“
„Das hast du dir gut gemerkt, Erek“, sagte Kumien ihn mit einem verhaltenen spöttischen Lächeln, das er immer in solchen Momenten zeigte. „Der Bruder des Mannes behauptet, die Frau ist eine Lügnerin, sie hätte ihren Mann hinterrücks erschlagen und ihm hinterher Schnaps in den Mund gegossen, damit man ihr glaubt.“
Lys’ Gedanken kreisten um mehrere Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden, es kostete ihn alle Kraft, sie beiseite zu drängen. Kumien besaß Heiler, die ihm sagen konnten, woran der Mann wahrscheinlich gestorben war und ob man ihn von vorne oder hinten totgeschlagen hatte. Es war eine Kleinigkeit, die Nachbarn zu befragen, ob der Mann ein Trinker gewesen war oder nicht. Hier ging es nicht um Mord, sondern um etwas ganz anderes. Kumien wollte irgendetwas von ihm …
„Mebana“, begann er vorsichtig und blickte den Layn von unten herauf demütig an, „ich hoffe, Ihr wollt nicht, dass ich die Wahrheit aufdecke? Ich weiß doch nichts darüber!“
„Wirklich nicht? Du hast letzte Woche erst gezeigt, dass du viel von Heilkunst verstehst – du weißt schon, der kleine Unfall des Wächters bei der Waffenübung. Du kannst gut beobachten und hast ein kluges Köpfchen und ein starkes Gefühl dafür, ob du belogen wirst oder nicht. Warum sollte ich also
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