Jenseits der Eisenberge (German Edition)
nicht dich bitten herauszufinden, ob diese Frau eine Mörderin ist oder nicht?“ Der Spott in Kumiens Stimme war schmerzhaft. Furcht prickelte über Lys’ Rücken, ballte sich in seinem Bauch.
Er biss sich auf die Lippen und murmelte: „Ich wünschte, Ihr würdet das nicht tun, Mebana.“ Kurz streifte sein Blick Kumiens Gesicht, dann starrte er wieder zu Boden und fuhr fort: „Warum spielt Ihr mit mir? Ihr wisst, dass die Frau schuldig ist, was also soll ich Euch raten?“
„Nun, ich spiele mit dir, weil du solch ein würdiger Gegner bist, Erek. Man findet nur selten Gelegenheit für derartige Vergnügen, sobald man Irtrawitts Thron besteigt. Jene Männer, die klug genug sind, sich mit mir zu messen, fürchten sich gewöhnlich zu sehr, um es wagen. Du hast den Verstand, den ich schätze, erstaunlich viel Wissen und Talent für einen Bastard und eine einzigartige Mischung aus Demut und Verwegenheit. Mit dir zu spielen ist genauso schön, wie dich zum Lächeln zu bringen.“ Er streichelte sanft über Lys’ Wange, zog ihn dann nahe an sich heran.
„Aber ich will tatsächlich deinen Rat hören“, flüsterte er ihm zu. „Die Frau ist eine Mörderin, sie muss ihren Mann im Schlaf erschlagen haben, denn man fand blutige Laken hinter einem Schrank versteckt. Der Dorfvorsteher erzählte mir allerdings, dass der Mann ein brutales Schwein gewesen ist, der sie über jedes Maß verprügelt und vergewaltigt hat. Das Gesetz ist eindeutig, es verlangt den Tod der Mörderin.
Erek, ich habe die Frau gesehen, sie trägt mehr Narben am Leib als du und zahllose frische Wunden.“
„Was hindert Euch an einem Akt der Gnade, Mebana?“, fragte Lys.
„Der Mann war kein Bauer oder Schmied, sondern der Nukir des Dorfes. Seine Familie ist groß, reich und weit verzweigt, darunter sind viele Dorfvorsteher, Nukiri und sogar Wächter in meinem Palast.“
Ahnungsvoll lehnte sich Lys an die Säule in seinem Rücken. Sie waren mittlerweile langsam bis in die Vorhalle geschlendert und verharrten nun wieder auf der Stelle. Ein Nukir war hier in Irtrawitt ein Mann, der das gesamte Vermögen des Dorfes verwaltete. Während der Dorfvorsteher auf Recht und Ordnung achtete, bestimmte der Nukir, in welcher Höhe ein jeder Steuern zu entrichten hatte, achtete darauf, dass niemand die Grenzsteine seiner Felder verrückte oder heimlich für zehn Hühner Abgaben leistete, obwohl er zwölf besaß. Ein Nukir war mächtig … Eine ganze Familie von Nukiri, Vorstehern und Palastwächtern zu verärgern würde also auch für einen Layn zu riskant sein.
„Wenn Ihr kein gerechtes Urteil fällen könnt, müsst Ihr Euch an das Gesetz halten, Mebana“, sagte Lys schließlich.
„Das weiß ich.“ Kumien beobachtete ihn scharf, und es lag keinerlei Spott in seinem Blick. „Du meinst also, ich habe keine andere Wahl?“
Nicken. Stimm ihm zu. Keine Wahl, überhaupt keine! NICKEN!
Lys wusste, würde er sich hier zu gewandt geben, hätte das weitreichende Auswirkungen, denn diesmal würde es öffentlich bekannt werden, dass er zu klug für einen Sklaven, einen ausländischen Bastard und Knecht eines unwichtigen Großherrn war. Kumien hätte gar keine andere Wahl, als ihn zum Reden zu zwingen, unendliche Mittel, dieses Ziel zu erreichen – und er würde sie nutzen, da hegte Lys keinerlei Illusionen.
STIMM IHM ZU!
„Mebana – nun, ich würde mir wünschen, es gäbe eine andere Wahl“, erwidert er zögernd.
„Du hast also eine Idee? Sag, was du denkst, du willst doch nicht, dass eine schuldlose Frau stirbt?“
Mit weit aufgerissenen Augen kämpfte Lys gegen sich selbst.
„Erek?“
„Herr“, stammelte er, „ich – nein, es ist keine Idee, nur Unsinn. Ich weiß nicht genug von solchen Dingen, ich war nie selbst am Spiel beteiligt …“
Kumien legte ihm einen Finger an die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen.
„Du bist ein guter Lügner, aber das ist jetzt unwichtig. In meiner Rechtshalle wartet die Familie des Toten und lechzt nach Vergeltung. Es wird mir nicht den Schlaf rauben, einen unschuldigen Menschen zum Tode zu verurteilen, du hingegen bist da empfindsamer, nicht wahr?“ Er nahm Lys Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn. „Was denkst du?“, wiederholte er, mit noch mehr Nachdruck diesmal.
„Wer ist das Oberhaupt dieser Familie?“, fragte Lys zurück.
„Feron, der Großvater des Toten. Er ist hier, warum?“
„Die Frau, ist sie auch hier?“
„Im Kerker, selbstverständlich ist sie hier.
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