Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Euren Armen wäre mir wertvoller als ein Leben ohne jede Liebe.“
„Aber du hast mehr zu verlieren“, sagte Kumien heiser, ergriff Lys’ Hände und barg sein Gesicht in dessen Flächen.
„Ja, das habe ich. Jenseits der Eisenberge wartet mein Sohn auf mich und Menschen, denen ich Versprechen gab. Auf dieser Seite des Passes ist mein Geliebter verloren gegangen. Wenn ich zulasse, dass Ihr mich vernichtet, muss er womöglich sterben – sollte er denn noch leben.“
Kumien hörte die Tränen in Lys’ Stimme. In diesem Moment fasste er einen Entschluss. Er hasste sich selbst dafür, im gleichen Augenblick, doch er wusste, es war die einzige Möglichkeit, Lys zu lieben. Er richtete sich auf, zog den widerstrebenden Mann an sich heran, küsste ihm zärtlich die Stirn.
„Gib dich mir noch ein einziges Mal hin“, wisperte er. „Lass dich von mir nehmen, noch ein einziges Mal. Jetzt, in dieser Nacht. Mehr werde ich nicht von dir fordern.“
Verwirrung trat in die Tränen schimmernden Augen, aber Lys wehrte sich nicht, als Kumien ihn zurück in die Kissen drückte; und schon bald war es wieder Lust und Verlangen, die diese schönen Gesichtszüge beherrschten.
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Wehmütig fuhr Kumien mit dem Zeigefinger über Lys’ Stirn, die Wangen, die vollen Lippen, die sich im Schlaf leicht geöffnet hatten. Das alles würde er nun verlieren …
Ihr zweites Liebesspiel war ruhiger gewesen, von zärtlichem Genuss bestimmt. Anschließend waren sie noch im Badehaus gelandet, hatten sich im heißen Wasser gereinigt, entspannt aneinander gekuschelt, bis sie so müde waren, dass sie es gerade noch bis zum Bett geschafft hatten.
Hier war Lys eingeschlafen, vertrauensvoll in seine Arme geschmiegt. Kumien hingegen konnte keine Ruhe finden. Er wusste, was er Lys antun würde. Antun musste. Er stand auf und setzte sich an sein Schreibpult. Ein Pergament nach dem anderen begann er vollzuschreiben, entschied, dass es nicht gut genug war, und zerriss es sofort wieder. Normalerweise wäre er darüber ungeduldig geworden, aber diesmal nicht. Wie in Trance schrieb er immer wieder von Neuem los. Erst im Morgengrauen war er schließlich zufrieden, oder vielleicht auch zu erschöpft, um es noch einmal zu versuchen; er wusste es selbst nicht. Diesen Befehl hatte er als Layn schon so oft geschrieben, einige Male war es ihm schwergefallen. Nichts war mit dem zu vergleichen, was er heute Nacht gefühlt hatte.
Lys bewegte sich unruhig im Schlaf; ein Traum, wie es schien. Kumien fand sich an seiner Seite wieder, bevor er sich zurückhalten konnte. Er hätte sich selbst verfluchen können! Stattdessen streichelte er über Lys’ Stirn, küsste ihm behutsam die Lippen, zum ersten und einzigen Male.
„Kirian!“, murmelte Lys, blinzelte kurz, drehte sich dann seufzend um, mit dem Rücken zu Kumien.
„Alles ist gut.“ Fahrig zog Kumien die Bettdecke über Lys’ nackte Schultern. Er wollte aufstehen, es hinter sich bringen, fand aber nicht die Kraft dazu. Er griff nach dem Medaillon, dass er seit Lys’ Ankunft um den Hals trug, und öffnete es. Maruv hatte es ihm geschickt, zusammen mit dem verstoßenen Fürstensohn von Lichterfels, den der König so dringend loswerden wollte. In dem Medaillon befand sich ein Bild von Lys. Ein hochbegabter Miniaturenmaler hatte es geschafft, die Gesichtszüge dieses Mannes so naturgetreu wiederzugeben, dass Kumien ihn auf dem ersten Blick erkannte hatte, als er Lys mit gesenktem Kopf in seiner Halle knien sah. Maruv hatte in einem langen Brief bejammert, wie gefährlich dieser junge Fürst war, wie arrogant und hinterhältig, wie viel er sich auf seine Klugheit einbildete und damit nur Schaden anrichtete. Ein Attentat kam nicht infrage, es würde den labilen Friedenszustand des Landes zerstören, doch Lys musste weg, um jeden Preis. Darum hatte Maruv es irgendwie möglich gemacht, Kirian gefangen zu nehmen, in der Hoffnung, dass Lys ihm folgen würde. – Die Tatsache, dass sich der junge Corlin einen Geächteten als Liebhaber genommen hatte, der ihn kaum zwei Jahre zuvor fast zu Tode gefoltert hätte, betonte Maruv in seiner Botschaft – ein Zwischending auf Bittschrift und Befehl – als Anzeichen für geistigen Verfall. Es gab für ihn keine andere Erklärung, als das Lys diesem Sheruk hörig sein musste, und eine Thronbesteigung des Corlins bedeuten würde, dem Geächteten Stefár von Lichterfels den Weg zur Rache zu ebnen.
Das hatte so logisch geklungen … Ihre Länder waren voneinander
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