Jenseits Der Schatten
Drake über sein Mündel gewusst hatte. Drake war ein Vorbild an Ehrenhaftigkeit gewesen, seit Logan ihn kannte, und außerdem ein treuer Gefolgsmann der Gyres. Die Familie Stern saß in der zweiten Reihe und wirkte ausgesprochen wütend. Durch die Zeugenaussagen war bereits festgestellt worden, dass sie Kylar niemals gekannt oder auch nur gesehen hatten, aber sie hatten trotzdem das Gefühl, dass ihre Ehre besudelt worden war.
Abgesehen von den gewohnten Edelleuten befand sich eine große Ansammlung von Cenariern im Raum. Die Oberschicht des Labyrinths war hier, Männer und Frauen in vornehmen Kleidern, doch ohne Titel. Logan fragte sich, ob sie alle zu den Sa’kagé gehörten. Er fragte sich, wie viele froh darüber waren, Kylar hier zu sehen, und wie viele darüber bekümmert waren oder um sich selbst bangten bei dem Gedanken, dass er vielleicht sprechen könnte. Dann gab es jene, die einzig wegen des Spektakels hergekommen waren: einige Ladeshi, einige alitaerische Kaufleute und sogar einen Ymmuri.
Rechts von Logan saßen die Zeugen. Ferner befanden sich achtzehn Wachen im Raum und die habgierige Frau, die während der Krönung neben Kylar gesessen hatte. Kylar nahm Platz.
»Nennt Euren Namen für dieses Tribunal«, verlangte Herzog Wesseros.
»Kylar Stern.«
»Setzt Euch, Baron Stern!«, blaffte Herzog Wesseros, als der unglückliche Edelmann aufsprang. Der Edelmann runzelte finster die Stirn und setzte sich wieder. »Dieses Gericht hat Zeugnis von Edelleuten vernommen, die sagten, Ihr hättet sie während des khalidorischen Staatsstreichs gerettet. Sie nannten Euch den Nachtengel. Wir haben gehört, dass Ihr König Gyre aus dem Loch gerettet habt. Wir haben gehört, dass man Euch Kagé
nennt, den Schatten. Wir haben sogar einen Mann gehört, der behauptete, Euer Name sei Azoth. Aber in einem Punkt haben wir Gewissheit erlangt: dass Ihr kein Stern seid, noch es jemals wart. Wie lautet Euer richtiger Name?«
Kylar wirkte erheitert. »Ich bin der Nachtengel, aber wenn Euch das im Halse stecken bleibt, könnt Ihr mich Kagé nennen.«
Herzog Wesseros blickte zu Logan hinüber. Logan hatte ihn gebeten, die Verhandlung zu leiten. Und Logan nickte. »Kagé«, sagte Herzog Wesseros, »Ihr seid des Hochverrats und des Mordes angeklagt. Bekennt Ihr Euch dieser Anklagen schuldig?«
»Des Mordes bekenne ich mich schuldig. Des Hochverrats nicht. Terah Graesin war keine rechtmäßige Königin. Durch Heirat und Adoption war Logan Gyre König seit dem Tod von König Aleine Gunder IX.«
Aufgeregtes Raunen lief durch die Reihen der Zuschauer, bis Herzog Wesseros die Hände hob. Er hatte mehrmals während der letzten Woche, als die Zeugen gehört worden waren, damit gedroht, den Saal räumen zu lassen, und die Menge wurde schnell wieder still. »Es ist nicht an Euch, Höhergestellte über cenarisches Gesetz zu belehren.«
»Dann sagt mir, Euer Gnaden, wurde Herzog Gyre offiziell zu König Gunders Erben erklärt oder nicht, und war er mit Jenine Gunder verheiratet oder nicht, und gab ihm das das Recht auf die Thronfolge oder nicht?«
Herzog Wesseros lief purpurrot an, sagte jedoch nichts. Wenn er zustimmte, würde er einräumen, dass Terah niemals zur Königin hätte gekrönt werden und er ihr niemals hätte Treue schwören dürfen. Wenn er erklärte, dass seine Entscheidung auf praktischen Erwägungen beruht hatte, würde er klingen wie ein Wiesel oder ein Feigling.
»Ich hätte Terah Graesin nicht getötet, wären Höhergestellte
dem Gesetz gefolgt statt ihren Schwänzen und ihren Börsen«, sagte Kylar.
Diesmal kam Logan mit erhobener Hand dem Getuschel zuvor. Er trug einen dünnen Goldreif um die Stirn, davon abgesehen aber wenig, das auf seine Königswürde hinwies. »Es steckt eine gewisse Wahrheit in Euren Worten. Am Vorabend der Schlacht bei Pavvils Hain haben einige von uns bedauerliche Kompromisse geschlossen. Am Ende hat Cenarias Adel Herzogin Graesin jedoch das Zepter und das Schwert überreicht, und wir haben ihr die Krone aufgesetzt. Es ist nicht das Recht eines gemeinen Mannes, Blut zu vergießen, um zu korrigieren, was in seinen Augen Fehler des Adels sind. Daher, Kagé, werdet Ihr wegen Mordes und Hochverrats verurteilt.«
Stille senkte sich über den Saal.
»Dieses Tribunal hat weitere Fragen, und wir bitten Euch, sowohl um Euretwillen als auch um Cenarias willen zu antworten. Wenn Ihr uneingeschränkt und aufrichtig sprecht, wird man Euch einen barmherzigen Tod gewähren. Wenn nicht, werdet Ihr
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