Jenseits Der Schatten
zu ihr gestanden, hätte Logan die Krone genommen? Er bewahrte an jenem Tag seine Ehre, wie er es an jedem Tag seines Lebens getan hat. Denkt ihr, dass er, wenn er mir befohlen hätte, Terah Graesin am Abend ihrer Krönung zu töten, mich aufgefordert hätte, an der hohen Tafel an seiner Seite zu sitzen? Denkt ihr, er sei ein solcher Narr, dass er in dem Wissen, was sich eine Stunde später ereignen würde, allen Anwesenden ins Gedächtnis rufen würde, wie gut er mit einem Blutjungen befreundet war? Ich habe Logan Gyre zehn Jahre lang für die Sa’kagé ausspioniert. In dieser Zeit begann Logan mir als seinem besten Freund zu vertrauen. Die Frage lautet also nicht, ob er Terah Graesin von mir hat ermorden lassen, denn das hat er nicht getan. Der Herzog, der einst mit der Tochter eines bloßen Grafen verlobt war, hatte immer zu viel Ehre für so etwas. Die eigentliche Frage lautet, ob euer neuer König seinem Freund den Mord vergeben wird, der ihn auf den Thron gesetzt hat.« Kylar drehte sich um und sah Logan zum ersten Mal in die Augen. »Nun, Logan, wie steht es damit?«
Was immer sonst Kylar dessen Zeit in den verschiedenen Welten Cenarias gebracht haben mochte - Logan sah, dass sein Freund zumindest gelernt hatte, wie sich Gerüchte sowohl unter den einfachen Leuten als auch unter den Adeligen auszubreiten pflegten. Er hatte genau die Frage angesprochen, die die Menschen stellen würden. In der Tat, er hatte alles so eingefädelt, dass
es auf die Frage nur eine einzige Antwort geben konnte. Logan hatte darüber nachgesonnen, warum Kylar sich hatte fangen lassen. Er gab sich keinen Illusionen darüber hin, dass der Grund darin zu suchen sei, dass Kylar nicht entfliehen konnte. Jetzt sah er all die Gedankenverbindungen, von denen Kylar gewusst hatte, dass andere Menschen sie herstellen würden. Wenn jemand ermordet wurde, lautete die erste Frage immer: Wer profitiert davon? Als Terah Graesin starb, deutete die Antwort offenkundig auf Logan hin. Das war jedoch nicht der Grund, warum Kylar sie getötet hatte. Er hatte sie für das ganze Volk Cenarias getötet, weil sie als Königin eine Katastrophe gewesen wäre. Also hatte Kylar sie auf eine Weise töten müssen, die Logan von jedem Verdacht reinwusch.
In gewisser Weise hatte Logan Kylar mit der Platzverteilung bei der Krönung zum Handeln gezwungen. Die Sterns waren dort gewesen. Hätte Kylar nicht an so prominenter Stelle gesessen, wäre er der Aufmerksamkeit vielleicht entgangen, aber bei zu genauem Hinschauen würde Kylars Tarnung in sich zusammenbrechen. Wenn sie zusammenbrach, hätten alle gewusst, dass Logans bester Freund zu den Sa’kagé gehörte - das allein wäre katastrophal gewesen. Wie konnte Logan schließlich ein Reformer sein, wenn er bei seiner Thronbesteigung selbst besudelt war von Anklagen der Korruption? Dies war Kylars Antwort: ein grelles Licht auf alles zu richten und Logan zu zwingen, entschlossen zu zeigen, wo seine Loyalität lag.
Kylar zweifelte nicht daran, was Logan tun würde, das erkannte Logan jetzt. Es war das Richtige. Es war das Einzige, was er tun konnte. Aber Logan hatte vor kurzem seinen Vater, seine Mutter, seine Verlobte und seine Frau verloren. Wie sollte er da seinen besten Freund zum Tode verurteilen?
Logan erinnerte sich an die kranke Freude, die er empfunden
hatte, als er Gorkhys Tod anordnete. Es war die Freude an der Macht, und er hatte sie abermals verspürt, wenn Männer sich vor ihm verneigt hatten. Aber plötzlich hasste er diese Macht. Kylar gab sein Leben hin, damit Logan Macht gewann. So sehr vertraute er Logan, und Logan wusste, dass er es in sich hatte, ein Ungeheuer zu sein. Aber es gab keinen Ausweg.
Mit steinerner Miene sagte Logan: »Ein Straferlass kommt nicht infrage. Ihr wart unser Freund, aber unsere Gerechtigkeit wird sich nicht beeinflussen lassen. Was auch immer Eure Absichten waren, selbst wenn es Euch darum ging, uns zum König zu machen, Ihr habt in diesem Reich einen Mord begangen. Die Gerechtigkeit verlangt Euren Tod. Der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden. Als König verlange ich Eure Antwort auf eine weitere Frage. Wenn Ihr antwortet, werde ich Euch einen barmherzigen Tod gewähren. Wenn nicht, wird es das Rad sein. Kagé, welches sind die Namen und Positionen aller Personen, die Ihr bei den Sa’kagé kennt?«
Kylar seufzte und schüttelte den Kopf.
53
Kylar saß in der Dunkelheit und dem Gestank seiner Zelle.
Er warf den Ka’kari in eine Ecke des Raums. Der Ka’kari
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