Jenseits Der Schatten
sterben, damit du ein ordentlich schlechtes Gewissen haben kannst? Kyle, werdet Ihr Tausende sterben lassen, damit Ihr mich oder Schwester Ariel bestrafen könnt? Wird es dadurch besser werden? Denn Ihr werdet nächstes Jahr immer noch beringt sein, ganz gleich, was mit der Chantry geschieht. Kyle, ich werde Euch geben, was immer Ihr wollt. Vi, du wirst mehr Macht und eine bessere Position haben, als du dir jemals erträumen könntest. Zu gegebener Zeit könntest du Sprecherin werden. Es ist deine Entscheidung. Ihr zwei regelt das unter Euch und gebt Schwester Ariel dann Bescheid. Ich darf mich nie wieder in Eurer Gesellschaft blicken lassen. Sollten wir einander jemals begegnen, erwarte ich, dass Ihr so tut, als würdet Ihr mich abgrundtief verabscheuen. Ich vermute, dass das nicht allzu schwierig sein wird.«
Sie öffnete die Tür, schaute nach links und rechts und verließ den Raum. Schwester Ariel sagte: »Elene wird in einigen Stunden in Euer neues Haus kommen. Die Geschichte wird lauten, dass sie Eure Dienerin ist.«
»Ich habe noch nicht Ja gesagt«, wandte Kylar ein.
Schwester Ariel sah ihn lange sanft an, dann öffnete sie die Tür und ging hinaus.
»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Vi.
Nun, da er ihr so nahe war, fing Kylar Bruchstücke von Bildern direkt aus ihrem Geist auf. Da war Elene, die ein Messer fortwarf. Kylar sah sich selbst, wie ein Grinsen auf seinem Gesicht aufleuchtete, sein gutes Aussehen übertrieben. Er sah sich selbst, wie er die Hand ausstreckte, um sanft ihr Gesicht zu berühren. Er sah sich selbst, wie er sie in den Armen hielt. Er sah sich im Thronsaal, grimmig und wild, wie er Garoth Ursuul eine Klinge
in den Kopf rammte und Vi das Leben rettete. Er sah sich, wie er sie voller Entsetzen betrachtete, als er den Ohrring entdeckte. Er sah sich über sie gebeugt, die Brust nackt, die Muskeln straff, den Blick mit bebenden Pupillen auf ihre Augen geheftet. Dann wieder Entsetzen und Verachtung.
Kylar schaute Vi an, dankbar dafür, dass sie einen formlosen Sack von einem weißen Wollkleid trug. Aber sie war so nah, dass er sie riechen konnte. Sie hatte kein Parfüm benutzt. Vielleicht Lavendelseife, aber im Wesentlichen roch er sie, und sie roch unglaublich.
Er sah Jarl blutbespritzt zu Boden fallen, und dann sah er den Schuss aus ihrer Perspektive, und ihre Tränen machten sie beinahe blind, als sie den Pfeil abschoss. Er spürte ihren Selbsthass, ihre Schuldgefühle - und er verzieh ihr.
Es bedurfte keiner Worte. Sie konnte es spüren. Tränen traten ihr in die Augen.
Kylar räusperte sich, warf unwillkürlich einen Blick auf ihre Brüste und errötete, als sie es bemerkte. Das Bild, wie er sie nackt in den Armen hielt, tauchte abermals auf, und er war sich nicht sicher, ob es von ihr oder von ihm kam. »Heilige Scheiße«, sagte er.
Sie schaute zu der schmalen Pritsche an der Wand hinüber und wandte den Blick hastig wieder ab, aber das Bild ließ sich nicht verbergen: Kylar über ihr, gutaussehend, muskulös, seine Berührung, die ihre Haut in Brand setzte, ihre Beine, die sich um seinen Leib schlangen, die ihn zu ihr herunterzogen, sein Gewicht, das sie mit etwas verband, das tief und real und besser war als alles, was sie verdiente. »Götter«, murmelte Vi, »das führt das Vorspiel wirklich auf eine neue Ebene.« Er konnte die Wärme spüren, die in ihrem Körper aufstieg.
»Nein«, sagte er. »Ich habe Elene in jeder Hinsicht verraten,
nur nicht in dieser. Bitte, wir dürfen das nicht tun, niemals. In Ordnung?«
Ihre Erregung verebbte sofort und wurde ersetzt durch Verwirrung und Schuldgefühle. Sie trat vor und streckte die Hände nach ihm aus.
Er wich zurück. »Ich denke, wir sollten uns nicht einmal … berühren.«
Sie wandte den Blick ab, und ihre Gefühle des Zurückgewiesenseins und der Unwürdigkeit flossen durch die Luft. Er wollte sie trösten, tat es jedoch nicht.
»Richtig«, erwiderte sie leise.
66
Schwester Ariel sah Kylar auf eine Art und Weise an, die offensichtlich machte, dass sie ihr magisches Talent benutzte und einmal mehr versuchte, ihn zu ergründen. »Elene wird jeden Augenblick hier sein. Ist alles zu deiner Zufriedenheit?«, fragte sie.
Er schaute ihr in die Augen. Er wünschte, er hätte den Ka’kari gehabt, um ihn an seine Augen zu heben, aber Durzo hatte ihm einen Rat gegeben: Um in die Maskerade eines magisch hochtalentierten Mannes zu schlüpfen, der im Laufe seines Lebens sein schlummerndes Talent nur einige wenige Male
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