Jenseits Der Schatten
schlugen sich auf die nackten Brüste und kratzten blutige Furchen in alabasterne Haut. Schwarze Tränen rollten aus mit Kohlstift umrandeten Augen. Einige hatten sich auf den Boden geworfen und weinten unkontrolliert. Andere waren ohnmächtig geworden.
In Trauer wie in Liebe und in Alkohol waren Dorians Landsleute überschwänglich, aber die Tränen dieser Frauen waren nicht geheuchelt. Sie alle hatten in Ehrfurcht und Angst vor dem Gottkönig gelebt, und nur wenige von ihnen hätten es gewagt, ihn zu lieben. Keine seiner Lieblingskonkubinen war hier. Niemand würde darüber Bericht erstatten, wer geweint hatte und wer nicht. Aber seine Heiligkeit war der Mittelpunkt gewesen, um den sich ihr Leben gedreht hatte. Ohne diesen Mittelpunkt brach alles zusammen.
Sie würden gezwungen sein, sich auf Garoths Scheiterhaufen zu werfen, um ihn ins Jenseits zu begleiten und auf ewig seine Sklavinnen zu sein. Und Garoth hatte seine Frauen stets jung geliebt.
Dorian sah ein schönes Mädchen, Pricia. Sie war kaum vierzehn Jahre alt und gerade erst erblüht. Allein saß sie da und starrte ins Leere. Sie war noch immer Jungfrau. Yorbas Zurgah hatte sie dem Gottkönig als Geschenk darbieten wollen, wenn er nach Hause kam.
»Du hast eine Chance«, erklärte Dorian ihr hölzern. »Der nächste Gottkönig könnte Anspruch auf dich erheben.«
»All meine Freundinnen werden sterben«, sagte Pricia, ohne ihn auch nur anzusehen.
Ihre Antwort beschämte ihn. Sie hatte nicht an sich selbst gedacht. Dieser Ort verwandelte ihn langsam wieder in den Zyniker, der der alte Dorian gewesen war.
Einen Moment später stürzten die anderen Konsequenzen von
Garoths Tod auf ihn ein. Der Gottkönig hatte keinen eindeutigen Erben hinterlassen, und derjenige von den Edelingen, der ihm nachfolgte, würde gewiss die anderen töten. Wenn die Konkubinen von Garoths Tod wussten, würden die Edelinge ebenfalls bald Bescheid wissen, wenn sie es nicht bereits taten.
Jenine!
Dorian stürzte in den Eunuchenraum, wo er Hopper zurückgelassen hatte.
»Schaff sie alle hier weg«, befahl er dem alten Mann. »Fang an mit den Jungfrauen.«
»Was?«
»Versteck sie in meinem Zimmer. Mindestens einer der Edelinge wird versuchen, den Harem des Gottkönigs an sich zu reißen, als Demonstration dafür, dass er der nächste Gottkönig sein sollte. Oder vielleicht drehen auch die Wachen durch. Du kannst sie nicht alle verstecken, aber zumindest die Jungfrauen werden eine Chance haben, dass der nächste Gottkönig Anspruch auf sie erhebt. Wenn sie erst vergewaltigt sind, werden sie mit den anderen sterben.«
Hopper nickte einmal. »Wird erledigt«, sagte er.
Dorian rannte den Tigerturm hinauf. Die Schrecknisse, die den Fuß des Turms bewachten, waren verschwunden, und Dorian rutschte das Herz in die Hose. Immer drei Stufen gleichzeitig nehmend, stürzte er die Treppe hinauf. Als er die letzten zwanzig Stufen erreichte, hörte er Stimmen. »… komm, oder ich werde dir wehtun.«
»In Ordnung«, sagte Jenine tonlos.
Der Riegel an der Tür war weggeschmolzen. Das Arschloch. Es war Tavi, gekommen, um Jenine zu vergewaltigen. Dorian trat die Tür gerade rechtzeitig auf, um zu beobachten, wie Jenine den Dolch zog, den er ihr gegeben hatte, und ihn dem jungen Mann
in die Brust rammte. Er schrie, und seine Vir stiegen gleichzeitig an die Oberfläche seiner Haut. Eine weiße Kugel von der Größe einer Faust krachte in Jenines Brust und schleuderte sie durch das Gemach.
Beim Klang der Tür, die aufgerissen wurde, drehte Tavi sich um, aber er hatte keine Zeit, sich zu bewegen, bevor Dorians Flammengeschosse ihn trafen. Sechs davon bohrten sich durch seine Brust und zum Rücken wieder hinaus, bevor er mit dem Gesicht nach unten tot zu Boden fiel. Es war nicht Tavi. Es war Rivik, Tavis Handlanger. Dorian ging zu Jenine hinüber.
Sie rang wimmernd nach Luft; ihre Brust war eingedrückt von sechs gebrochenen Rippen. Dorian legte ihr die Hand auf den Oberkörper und besah sich den Schaden. Sie entspannte sich, während er den Schmerz fortspülte. Knochen um Knochen knackte nahtlos zurück an seinen ursprünglichen Platz, und binnen Sekunden war Dorian fertig.
Jenine starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ihr seid gekommen.«
»Ich werde immer kommen, wenn es um Euch geht.«
Sie holte versuchsweise Luft. »Ich fühle mich … perfekt.«
Dorian lächelte schüchtern, dann begann er, Kandelaber und Tigerstatuen einzusammeln, alles, was er finden konnte und aus Gold
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