Jenseits Der Schatten
Blick nach Westen und Osten reichte, lagen die Leichen der Lae’knaught gegen die unsichtbare Mauer gepresst. Sie hatten vor ihrem Tod jede Stelle erprobt, die sie nur erproben konnten, und festgestellt, dass die Mauer überall undurchdringlich war. Noch immer tropfte Blut aus den Leichen, glitt an der Mauer hinunter wie an Glas, aber seltsamerweise roch man nichts. Die Magie versiegelte den Wald gegen Gerüche.
Logan hörte, wie seine Leibwächter sich übergaben.
»Die Dorf bewohner von Torras Bend sagen, in jeder Generation versuche jemand, in den Wald zu gehen. Es geschieht so häufig, dass ihr Ausdruck für Selbstmord ›in den Wald gehen‹ ist«, erklärte Kylar. Logan drehte sich um. Kylars Augen wirkten leer. »Ich habe das getan«, murmelte Kylar. »Ich habe sie hierhergelockt, so dass sie statt deiner in die Falle der Ceuraner tappen. Diese Seelen gehen auf meine Rechnung.«
»Unsere Späher haben die Kämpfe gehört. Das ist der Grund, warum wir zurückgeblieben sind. Was du hier getan hast, hat vierzehnhundert Leben gerettet …«
»Um den Preis von fünftausend.«
»Und vielleicht hat es auch Cenaria gerettet.« Logan hielt inne. Machte es wirklich einen Unterschied? »Hauptmann«, sagte er. »Bringt die Männer in Gruppen nach vorn. Ich will, dass alle das sehen. Ich will, dass kein Cenarier jemals den Fehler begeht, den wir um ein Haar begangen hätten.«
Kaldrosa Wyn salutierte, offensichtlich dankbar dafür, eine Pflicht zugewiesen zu bekommen, die sie von dem Massaker fortführte.
Logan erklärte: »Kylar, ich weiß, du denkst, du seist ein schlechter Mensch, aber ich habe niemals jemanden gesehen, der so viel auf sich nimmt wie du, um zu tun, was er für richtig hält. Du bist ein erstaunlich moralischer Mann, und ich vertraue dir, und du bist mein bester Freund.« Logan sah Kylar fest an, damit dieser die Wahrheit seiner Worte in seinen Zügen lesen konnte.
Kylar verzog das Gesicht zu einer sarkastischen Das-kannnicht-dein-Ernst-sein-Grimasse, die langsam schmolz. Die Anspannung wich aus seinen Zügen, als die Wahrheit zu ihm durchdrang. Logan meinte jedes Wort aufrichtig. Kylar blinzelte plötzlich. Ein Mal, zwei Mal, dann schaute er weg.
Oh mein Freund, was hast du durchgemacht, dass du beinahe weinst, wenn jemand sagt, du seist kein schlechter Mensch? Oder lag es daran, dass ich dich Freund genannt habe? , dachte Logan. Er war monatelang im Loch isoliert gewesen, und es war die Hölle gewesen. Kylar war sein ganzes Leben lang isoliert gewesen.
»Aber?«, fragte Kylar.
Logan stieß einen tiefen Seufzer aus. »Dumm bist du auch nicht, hm?« Kylar ließ dieses alte, schelmische Grinsen auf blitzen, und Logan liebte ihn mit Ingrimm. »Aber du warst ein Blutjunge, Kylar, und jetzt bist du etwas noch Gefährlicheres. Ich kann nicht so tun, als wüsste ich nicht, was du vielleicht mit Terah machen wirst -«
»Vertraust du mir wirklich?«, unterbrach ihn Kylar.
Logan schwieg, vielleicht zu lange. »Ja«, sagte er schließlich.
»Dann ist dieses Gespräch zu Ende.«
16
»Dorian«, sagte Jenine. »Ich denke, Ihr solltet herkommen und Euch das ansehen.«
Er trat ans Fenster und blickte auf Khalira hinab. Sie kamen in die Stadt marschiert, zwanzigtausend Soldaten, zweitausend Pferde und zweihundert Meister. Paerik, Dorians jüngerer Bruder, war aus dem Frost heimgekehrt. Leibeigene machten hastig einer Gruppe von Reitern Platz, die in einigem Abstand vor der Armee herritten. Dorian brauchte die Banner nicht zu sehen, um zu wissen, dass es Paerik selbst sein musste.
Dorian und Jenine rannten, immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend, die Treppe hinunter bis zum Fuß des Tigerturms. Die grimmigen Katzen erwiesen ihm mit ihrem reißzahnbewehrten Lächeln die Ehre und verspotteten ihn gleichzeitig. Es war immer noch Zeit. Wenn sie das Vordertor erreichten, konnten sie die Lichtbrücke einige Minuten vor Paeriks Eintreffen überqueren.
Wie immer war es dunkel in den Sklaventunneln. In der Ferne prallten Gestalten mit Schwert und Zauber aufeinander, aber Dorian konnte sie um das schlimmste Kampfgetümmel herumführen. Er konnte seine Halbbrüder selbst auf große Entfernung wahrnehmen.
Der Weg, den zu nehmen sie gezwungen waren, führte sie in
einen grob behauenen Steintunnel hinab und vorbei am Khalirium, der Residenz der Göttin. Der bloße Stein hier unten stank nach Vir. Dorian umrundete hundert Schritt vom Vordertor der Burg entfernt eine Ecke und stand plötzlich im Rücken eines
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