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Jenseits Der Schatten

Titel: Jenseits Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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den Griff abriss. Binnen einer Minute hatte sie ihr Haar wieder zu einem strammen Zopf geflochten. »Zur Hölle mit ihnen«, wiederholte sie und presste das Kupfer zu einem engen Ring, der ihr Haar einfasste.
    Dann griff sie nach dem Brief und entfaltete ihn. »Viridiana, bitte komm nach deinem Unterricht heute Morgen in den privaten Speisesaal. Elene wünscht, dich kennenzulernen. - Schwester Ariel«
    Vi bekam keine Luft. Elene? Oh Scheiße. Sie hatte gewusst, dass Elene irgendwann auftauchen würde, aber so bald schon?
    Die Tür wurde aufgerissen, und ein wildäugiges, mürrisches Mädchen blickte sich argwöhnisch im Raum um, die Arme erhoben, als beschwöre es gewaltige Kräfte herauf. »Was geht hier vor?«, verlangte das Mädchen zu erfahren. »Du hast Magie benutzt! Zweimal! Leugne es nicht.«
    Vi lachte, zuerst nervös, dann unverhohlen, dankbar für die Ablenkung. Die junge Frau keuchte. Ihre Wangen waren gerötet, und Schweißperlen standen auf ihrer blassen Stirn unter dem dunklen Haar. Sie war fett und klein genug, dass Vi sich fragte, ob dieses Talgfass die frühere Besitzerin ihres Unterhemdes gewesen war. Sie war vielleicht fünfzehn, ihr weißes Baumwollkleid war blau gesäumt, und eine Brosche aus goldenen Schuppen prangte auf ihrer Brust. »Du hast mich erwischt«, bemerkte Vi.
    »Du gibst es zu!«
    Vi zog eine Augenbraue hoch. »Natürlich. Jetzt verschwinde. Und klopf beim nächsten Mal an.«

    »Es ist verboten!«
    »Anklopfen ist verboten?«, fragte Vi.
    »Nein.«
    »Dann versuch es beim nächsten Mal, Klops.«
    »Mein Name ist Xandra, und ich bin die Flurwache. Du hast Magie benutzt, zweimal. Das macht zwei Tage in der Spülküche für dein erstes Vergehen. Und du hast mich respektlos behandelt. Das macht eine Woche!«
    »Du kleiner Scheißdreck.«
    »Fluchen! Noch ein Tag! Man hat mir erzählt, dass du Ärger machen würdest.« Xandra zitterte. Es ließ ihr Fett schwabbeln.
    »Du musst Witze machen, verdammt noch mal«, sagte Vi.
    »Respektlosigkeit und erneutes Fluchen! Das reicht! Du wirst dich sofort bei Mistress Jonisseh melden.«
    »Das nennst du Respektlosigkeit, du quiekende Sau?« Vi trat vor. Xandra öffnete den Mund und hob die Arme. Vi sagte: »Graakos.«
    Der Schild fuhr sofort in die Höhe, und was immer Xandra in ihre Richtung schleuderte, prallte davon ab. Vi packte das Mädchen am Arm, drehte ihn um und stieß Xandra aus dem Raum. Diese rutschte zehn Schritt weit über den polierten Boden des Flurs. Als Vi durch die Tür trat, sah sie mindestens dreißig kleine Mädchen, die sie mit großen Augen anstarrten, die meisten von ihnen unter zwölf.
    »Klopf beim nächsten Mal bitte an«, sagte Vi. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und schlug die Tür zu.
    Aus dem Flur hörte sie Xandra mit zitternder Stimme rufen: »Das Zuschlagen einer Tür, das macht -«
    Vi öffnete die Tür wieder und warf dem Mädchen, das noch immer in sich zusammengesunken an der gegenüberliegenden Wand auf dem Boden lag, einen mörderischen Blick zu. Die
Worte erstarben in Xandras Mund. Vi schlug die Tür abermals zu, setzte sich aufs Bett, griff nach dem Brief, versuchte, nicht zu weinen - und scheiterte.

38
    In seinem ganzen Leben hatte Kylar die Menschen aus dem Labyrinth noch nie so glücklich gesehen. Agons Hunde waren bei den Wagen voller Getreide und Reis geblieben, um die Verteilung zu überwachen. Sämtliche Hunde waren Mitglieder der Sa’kagé, und sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, dafür zu sorgen, dass die Vorräte gerecht verteilt wurden. »Wir haben es verdient«, hörte Kylar einen Hund zu einem stirnrunzelnden Schläger der Sa’kagé sagen. »Ich habe es von ganz oben gehört. Jetzt sorg dafür, dass diese Gilderatten teilen!«
    Die Karnickel stellten sich in die langen Schlangen, die sich langsam, aber stetig vorwärtsbewegten, und ein hartgesottener alter Kerl holte eine Zinnflöte hervor, setzte sich auf seinen gerade erhaltenen Sack Reis und begann zu spielen. Binnen weniger Sekunden tanzten die Karnickel. Eine Frau hatte schon bald mehrere Töpfe aufgesetzt, und jeder, der ein Maß von seinem Reis oder Getreide in einen Topf warf, konnte sich sofort ein volles, gewürztes Maß aus einem anderen nehmen. Sie servierte Brot und Reis und bald auch Wein. Irgendjemand bot Kräuter an, ein anderer Butter, wieder ein anderer Fleisch. Im Nu war ein Festmahl im Gange.
    In einer Pause zwischen zwei Liedern stand einer von Agons Hunden auf und brüllte: »Ihr kennt mich vielleicht.

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