Jenseits Der Unschuld
ihrem Körper. Sie wagte den Blick zu heben. Edward war stehengeblieben, darauf bedacht, einen Sicherheitsabstand zu wahren. »Habe ich unsere Freundschaft in Gefahr gebracht?«
Sie fasste sich ein Herz. »Ich weiß nicht. Haben Sie das?«
»Wenn ich sie in Gefahr gebracht habe, mache ich es wieder gut«, versprach er hastig. »Ich schwöre es, Sofie O'Neil.«
Er klang so aufrichtig. »Wir sind Freunde«, antwortete sie mit fester Stimme.
Er lächelte erleichtert. »Heißt das, ich bekomme mein Bild?«
Sie achtete nicht auf die warnende Stimme in ihrem Herzen. »Ja.«
»Was werden Sie malen?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich weiß, was ich gern möchte«, versetzte er rasch.
»Ach ... wirklich?« fragte sie bang.
»Ich hätte gern ein Porträt von Ihnen. «
Sofie lachte nervös. »Sie bringen mich in Verlegenheit. «
»Ein Selbstbildnis bringt Sie in Verlegenheit?«
»Ich male keine Selbstporträts.«
Er sah ihr unverwandt in die Augen. »Malen Sie eins für mich.«
»Nein.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wie um sich zu schützen. »Das ist unmöglich.«
»Warum? Warum malen Sie kein Selbstporträt?«
Sofie wusste keine Antwort. »Sie können ein anderes Bild haben - nur kein Selbstporträt.«
Er nickte bedächtig. »Ich gebe mich geschlagen.« Dann trat er auf sie zu und ergriff ihre Hand. »Ich verspäte mich.« Er lächelte. »Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen.«
Sofie entzog ihm ihre Hand, versuchte ihre Atemlosigkeit zu verbergen. »Es ist zeitaufwendig, ein Ölbild zu malen, wenn Sie überhaupt ein Ölbild wollen.«
»Sie sind die Künstlerin. Sie wählen die Technik und das Sujet.«
Sofie nickte stumm und brachte ihn zur Tür. Erst als er gegangen war, kam ihr die Idee, sie hätte ihm einen Tausch vorschlagen müssen. Als Gegenleistung für das Bild hätte sie ihn bitten sollen, ihr Modell zu sitzen.
Der Mann stand mit dem Rücken zum Central Park und beobachtete das vierstöckige Herrenhaus auf der anderen Straßenseite. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner beigen Hose vergraben. Ein Strohhut schützte sein wettergegerbtes Gesicht vor der grellen Sommersonne und vor neugierigen Blicken. Es war zwar unwahrscheinlich, dass ihn jemand erkannte, aber er durfte kein Risiko eingehen.
Zögernd wandte er sich ab und schlenderte die Fisch Avenue entlang. Er hatte erreicht, weswegen er gekommen war, auch wenn er den ganzen Tag darauf gewartet hatte.
Er hatte den ganzen Tag darauf gewartet, einen Blick auf sie zu erhaschen. Einen kurzen Blick auf seine geliebte Tochter. Sie zu sehen war Balsam für seine wunde Seele.
Kapitel 8
Edward lenkte den glänzenden schwarzen Packard langsam in die Auffahrt des Savoy Hotels an der Fifth Avenue.
Vor ihm stiegen Fahrgäste aus einem Zweispänner. Der Motorlärm des Packard machte die Pferde unruhig, sie tänzelten nervös und versuchten zu steigen. Edward schaltete in den Leerlauf und wartete, bis die Reihe an ihm war, an der Treppe des Hotels vorzufahren. Die beiden Pferde vor der offenen Equipage beruhigten sich wieder.
Edwards Hände umfassten das geflochtene Leder des Lenkrades, sein Blick war ins Leere gerichtet. Er war immer noch erschüttert von seinem Verhalten und konnte nicht fassen, wozu er sich beinahe hätte hinreißen lassen.
Einen Augenblick lang hatte er jeden Sinn für Sitte und Anstand außer Acht gelassen, hatte all seine Vorsätze vergessen. Er hatte vergessen, dass Sofie zu jung und zu unschuldig für ihn war. Der Wunsch, sie zu küssen, war übermächtig gewesen. Und er hatte es getan, wenn auch nur flüchtig. Wie konnte ihm das passieren?
Zugegeben, Sofie hatte bezaubernd ausgesehen mit ihrer zerzausten Frisur, in ihrem beklecksten Kleid. Sie wirkte auf jeden Mann reizvoll, daran gab es keinen Zweifel. Aber doch nicht auf ihn, den es zu schönen, extravaganten Frauen hinzog. Sein einziges Interesse an Frauen beruhte auf gegenseitiger Fleischeslust.
Und dennoch fand er das Mädchen ungemein anziehend. Wieso eigentlich? Eine Frau wie sie war ihm noch nie begegnet. Sie war erfrischend unkonventionell und einzigartig. Zweifellos hochbegabt und von ihrer Malerei erfüllt.
Allein ihr Talent reichte aus, um das Interesse eines Mannes zu wecken. Andererseits verwunderte ihn ihr Malstil.
Sie hatte ihm erzählt, mit welcher Leidenschaft sie ihr Studium betrieb, doch in den Porträts von Miß Ames und Lisa hatte er keine Leidenschaft entdecken können. Eine Frau, deren erklärtes Ziel darin bestand, die Malerei zu ihrem
Weitere Kostenlose Bücher