Jenseits des Bösen
Möglichkeiten durch und entschied sich schließlich für eine.
»Alles?« sagte sie.
Er lachte, und sein Gelächter klang wie Glocken für sie.
Guter Trick, wollte sie ihm sagen, bis ihr klarwurde, daß er an der Tür stand.
»Jemand ist in der Mission«, hörte sie ihn sagen.
»... gekommen, um die Kerzen anzuzünden«, schlug sie vor, und ihr Kopf schien ihren Körper zu verfolgen und gleichzeitig ihm vorauszueilen.
»Nein«, sagte er zu ihr, während er in die Dunkelheit hinaus-trat. »Sie gehen niemals dorthin, wo die Glocken sind...«
Sie hatte in die Kerzenflamme gesehen, während sie über Rauls Fragen nachgedacht hatte, und deren Nachbild war nun der Dunkelheit aufgeprägt, durch die sie stolperte; ein Irrlicht, das sie vielleicht über den Rand der Klippe geführt hätte, wäre sie nicht seiner Stimme gefolgt. Als sie sich den Mauern näherten, befahl er ihr, dort stehenzubleiben, wo sie war, aber sie achtete nicht auf ihn und folgte ihm. Die Kerzenanzünder waren tatsächlich dagewesen; ihr Wirken erfüllte den
Porträtsaal mit Glorienschein. Der Inhalt von Rauls Zigarette hatte ihre Gedanken in die Länge gezogen, aber sie waren noch zusammenhängend genug, daß sie sich nun fragte, ob sie nicht zu lange müßig gewesen war und dadurch ihre Mission in Gefahr gebracht hatte. Warum hatte sie den Nuncio nicht auf der Stelle gesucht und ins Meer geschüttet, wie Fletcher ihr 391
befohlen hatte? Zorn auf sich selbst machte sie kühn. Es gelang ihr im erleuchteten Zimmer der Wandgemälde, Raul zu
überholen, so daß sie vor ihm ins von Kerzen erhellte Labor trat.
Nicht Kerzen waren hier angezündet worden, und der Besucher war auch kein Versorger. In der Mitte der Kammer war ein kleines, rauchendes Feuer angezündet worden, und ein Mann - der ihr momentan den Rücken zugedreht hatte - wühlte mit bloßen Händen durch das Wirrwarr der Geräte. Sie hatte nicht erwartet, daß sie ihn kennen würde, als er in ihre Richtung sah, was bei näherem Nachdenken albern war. In den vergangenen paar Tagen hatte sie die meisten Akteure dieses Schauspiels kennengelernt, entweder persönlich oder dem Namen nach. Auf diesen hier traf beides zu, Tommy-Ray McGuire. Er drehte sich ganz um. In der perfekten Symmetrie seiner Züge sprang glitzernd ein Ball Irrsinn - das Erbteil des Jaff - hin und her.
»Hi!« sagte er; ein nichtssagender, beiläufiger Gruß. »Ich habe mich schon gefragt, wo Sie stecken. Der Jaff hat gesagt, daß Sie hier sein würden.«
»Fassen Sie den Nuncio nicht an«, sagte sie zu ihm. »Er ist gefährlich.«
»Das hoffe ich«, sagte er grinsend.
Er hielt etwas in der Hand, sah sie. Als er ihren Blick sah, hielt er es hoch. »Ja, ich habe ihn«, sagte er. Die Phiole sah tatsächlich aus, wie Fletcher sie beschrieben hatte.
»Werfen Sie ihn weg«, sagte sie und versuchte, kühl zu bleiben.
»Hatten Sie das denn vor?« fragte er.
»Ja. Ich schwöre es, ja. Er ist tödlich.«
Sie bemerkte, wie er von ihr zu Raul sah, dessen Atem sie hinter und ein wenig seitlich von sich hörte. Tommy-Ray schien es überhaupt nicht zu kümmern, daß sie in der Überzahl waren. Sie fragte sich, ob es überhaupt eine Bedrohung für 392
Leben oder Gesundheit gab, die ihm den Ausdruck
verschlagener Befriedigung vom Gesicht nehmen würde.
Möglicherweise der Nuncio? Allmächtiger Gott, welche
Möglichkeiten würde er in seinem barbarischen Herzen finden, die er preisen und vergrößern konnte?
Sie sagte noch einmal: »Zerstören Sie ihn, Tommy-Ray, bevor er Sie zerstört.«
»Auf gar keinen Fall«, sagte er. »Der Jaff hat Pläne damit.«
»Und was ist mit Ihnen, wenn Sie alle seine Aufträge ausgeführt haben? Ihm liegt doch nichts an Ihnen.«
»Er ist mein Vater, und er liebt mich«, antwortete Tommy-Ray mit einer Überzeugung, die bei einer gesunden Seele rührend gewesen wäre.
Sie ging auf ihn zu und sprach dabei. »Bitte hören Sie mir einen Augenblick zu, ja...?«
Er steckte den Nuncio ein und griff gleichzeitig in die andere Tasche. Er holte eine Waffe heraus.
»Wie haben Sie das Zeug genannt?« fragte er und richtete die Waffe auf sie.
»Nuncio«, antwortete sie und ging langsamer, aber immer noch zielstrebig auf ihn zu.
»Nein. Anders. Sie haben es anders genannt.«
»Tödlich.«
Er grinste. »Jaah«, sagte er und nuschelte das Wort.
»Tödlich. Das bedeutet, es bringt einen um, oder nicht?«
»Richtig.«
»Das gefällt mir.«
»Nein, Tommy...«
»Sagen Sie mir nicht, was mir
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