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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ist... wie... eine Bühne... als würde dort etwas aufgeführt werden.«
    »Aufgeführt.«
    »Ich weiß, das ergibt keinen Sinn; ich erzähle dir nur, was ich empfinde. Etwas Schreckliches wird dort passieren, Raul.
    Das Schlimmste, was man sich nur vorstellen kann.«
    »Du weißt nicht, was?« Er ging wieder zur vertraulicheren Anrede über.
    »Oder vielleicht ist es schon passiert?« sagte sie. »Vielleicht ist deshalb niemand in der Stadt. Nein. Nein. Das ist nicht der Grund. Es ist noch nicht vorbei, es wird in Kürze erst 483
    passieren.«
    Sie versuchte, so gut sie konnte, einen Sinn in ihre
    Verwirrung zu bringen. Wenn sie in dieser Stadt die Szene eines Films ansiedeln müßte, was würde sie tun? Eine
    Schießerei auf der Hauptstraße? Die Einwohner hinter
    verschlossenen Türen, während die Guten und die Bösen es mit Pistolen unter sich ausmachten? Möglich. Oder eine verlassene Stadt, hinter der am Horizont ein alles niederstampfender Behemoth auftauchte? Das klassische Monster-Szenario der fünfziger Jahre: ein von Atombombentests gewecktes
    Ungeheuer...
    »Das schon eher«, sagte sie.
    »Was ist?«
    »Vielleicht ist es ein Dinosaurierfilm. Oder eine Riesentaran-tel. Ich weiß nicht. Aber das trifft die Sache auf jeden Fall eher.
    Himmel, ist das frustrierend! Ich weiß etwas über diese Stadt, Raul, aber ich bekomme es einfach nicht auf die Reihe.«
    Nebenan ertönte aus vollem Halse Donizettis Meisterwerk.
    Sie kannte es mittlerweile so gut, daß sie hätte mitsingen können, wenn sie die Stimme dazu gehabt hätte.
    »Ich mache Kaffee«, sagte sie. »Damit ich wach werde.
    Fragst du Ron nach etwas Milch?«
    »Ja, natürlich.«
    »Sag ihm einfach, du bist ein Freund von mir.«
    Raul stand vom Bett auf und nahm die Hand aus ihrer.
    »Ron hat Apartment Nummer vier«, rief sie hinter ihm her, dann ging sie wieder ins Bad und duschte verspätet, wobei ihr das Problem mit der Stadt nicht aus dem Kopf ging. Als sie sich abgetrocknet und ein sauberes T-Shirt und Jeans gefunden hatte, war Raul wieder in der Wohnung, und das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung waren die Oper und Ron.
    »Wo hast du denn den gefunden?« wollte er wissen. »Und hat er einen Bruder?«
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    »Ist es unmöglich, hier ein Privatleben zu führen?« sagte sie.
    »Hättest ihn eben nicht vorführen sollen, Mädchen«, antwortete Ron. »Was ist er? LKW-Fahrer? Soldat? Er ist so kräftig.«
    »Das ist er.«
    »Wenn ihm langweilig wird, dann schick ihn einfach rüber.«
    »Er wird sich geschmeichelt fühlen«, sagte Tesla und legte den Hörer auf. »Du hast einen Bewunderer gefunden«, sagte sie zu Raul. »Ron findet, daß du ausgesprochen sexy bist.«
    Rauls Miene war nicht so verwirrt, wie sie gedacht hatte, daher fragte sie: »Was meinst du, gibt es schwule Affen?«
    »Schwul?«
    »Homoxexuell. Männer, die gern mit anderen Männern ins Bett gehen.«
    »Ist Ron das?«
    »Ist Ron das?« Sie lachte. »Ja, das ist Ron. Ist eben so eine Gegend hier. Darum gefällt sie mir ja.«
    Sie füllte Kaffee in die Tassen. Als sie hörte, wie die Körnchen vom Löffel rieselten, fing die Vision in ihr wieder an.
    Sie ließ den Löffel fallen. Drehte sich zu Raul um. Er war weit von ihr entfernt, auf der anderen Seite eines Zimmers, das sich mit Staub zu füllen schien.
    »Raul?« sagte sie.
    »Was ist los?« sah sie ihn sagen. Sah, nicht hörte; in der Welt, aus der sie verschwand, war die Lautstärke auf Null gedreht worden. Panik machte sich breit. Sie griff mit beiden Händen nach Raul.
    »Laß mich nicht gehen ...«, schrie sie ihm zu. »... ich will nicht gehen! Ich will nicht...«
    Dann senkte sich der Staub zwischen sie und löschte ihn aus.
    Sie fiel nicht in seine feste Umarmung, sondern verfehlte seine Hände in dem Sturm und wurde in die Wüste zurückgeschleu-dert, wo sie mit Höchstgeschwindigkeit über das mittlerweile altbekannte Terrain sauste. Dieselbe verbrannte Erde, über die 485
    sie schon zweimal hinweggeflogen war.
    Ihre Wohnung war völlig verschwunden. Sie war wieder in der Schleife und reiste durch die Stadt. Der Himmel über ihr war delikat getönt, wie bei ihrer ersten Reise hierher. Die Sonne stand immer noch tief am Horizont. Sie konnte sie deutlich sehen, anders als beim ersten Mal. Mehr als sehen, sie konnte sie anstarren, ohne den Blick abwenden zu müssen. Sie konnte sogar Einzelheiten erkennen. Sonneneruptionen stoben wie Arme aus Feuer von ihrem Rand weg. Eine Gruppe
    Sonnenflecken verunstaltete die

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