Jenseits des Bösen
weggegangen, verdrehte sie die Augen auf nur allzu deutlich erkennbare Weise nach oben und entspannte die Muskeln, so daß sie am Türrahmen lehnte und den Eindruck erweckte, als könnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten, dachte Eve und ging weiter ins Wohnzimmer.
Auch hier kam die einzige Beleuchtung von draußen, von den bunten Lichtern der Jahrmarktsattraktionen. Das Licht war jedoch ausreichend, Eve zu zeigen, daß die Party in der halben Stunde, seit Lamar sie geholt hatte, so gut wie zum Erliegen gekommen war. Die Hälfte der Gäste war gegangen,
möglicherweise hatten sie die Veränderung gespürt, die über die Versammlung gekommen war, als immer mehr Besucher von dem Bösen im oberen Stock berührt worden waren. Als sie zur Tür kam, war eine weitere Gruppe, die ihre Angst mit 559
Getue und lauten Worten verbarg, gerade im Aufbruch
begriffen. Sie kannte keinen, wollte sich davon aber nicht aufhalten lassen. Sie packte einen jungen Mann am Arm.
»Sie müssen mir helfen«, sagte sie.
Sie kannte das Gesicht von den Werbeplakaten am Sunset.
Der Junge war Rick Lobo. Seine Schönheit hatte ihn über Nacht zum Star gemacht, obwohl seine Liebesszenen immer irgendwie lesbisch wirkten.
»Was ist denn los?« sagte er.
»Da oben ist etwas«, sagte sie. »Es hat einen Freund von mir...«
Das Gesicht konnte nur lächeln und verdrossen schmollen; wenn beide Reaktionen unangemessen waren, konnte es nur nichtssagend in die Gegend starren.
»Bitte kommen Sie«, sagte sie.
»Sie ist betrunken«, sagte jemand aus Lobos Gruppe und be-mühte sich nicht einmal, den Vorwurf verstohlen auszusprechen.
Eve sah zu dem Sprecher. Die ganze Bande war jung. Keiner über fünfundzwanzig. Und die meisten, schätzte sie, total high.
Aber keiner war vom Jaff berührt worden.
»Ich bin nicht betrunken«, sagte Eve. »Bitte hören Sie mir zu...«
»Komm schon, Rick«, sagte ein Mädchen aus der Gruppe.
»Möchten Sie mit uns kommen?« fragte Lobo.
»Rick!« sagte das Mädchen.
»Nein. Ich möchte, daß Sie mit nach oben kommen...«
Das Mädchen lachte. »Kann ich mir denken«, sagte sie.
»Komm schon, Rick.«
»Ich muß gehen. Tut mir leid«, sagte Lobo. »Sie sollten auch gehen. Diese Party ist ein Reinfall.«
Das Unverständnis des Jungen war solide wie eine
Steinmauer, aber Eve wollte sich noch nicht geschlagen geben.
»Vertrauen Sie mir«, sagte sie. »Ich bin nicht betrunken.
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Hier geht etwas Schreckliches vor.« Sie sah die anderen an.
»Sie spüren es doch alle«, sagte sie und kam sich wie eine Kassandra im Sonderangebot vor, wußte aber nicht, wie sie sich anders ausdrücken sollte. »Hier geht etwas vor...«
»Ja«, sagte das Mädchen. »Hier geht etwas vor. Wir gehen.«
Aber ihre Worte hatten einen Nerv in Lobo berührt.
»Sie sollten mit uns kommen«, sagte er. »Es wird immer unheimlicher hier.«
»Sie will nicht gehen«, sagte eine Stimme auf der Treppe.
Sam Sagansky kam herunter. »Ich kümmere mich um sie,
Ricky, keine Bange.«
Lobo war eindeutig froh, daß er die Verantwortung abgeben konnte. Er ließ Eves Arm los.
»Mr. Sagansky wird sich um Sie kümmern«, sagte er.
»Nein...«, beharrte Eve, aber die Gruppe ging bereits zur Tür, und dieselbe Angst beflügelte ihre Hast wie die, die auch Turners Gruppe zur Eile angetrieben hatte. Eve sah, wie Rochelle aus ihrem Tran erwachte, um den Dank der Gruppe entgegenzunehmen. Sam hinderte sie daran, ihnen zu folgen.
Eve hatte nur noch eine Möglichkeit, im Zimmer hinter ihr nach Hilfe zu suchen.
Die Auswahl schien kümmerlich zu sein. Es waren noch
etwa dreißig Gäste anwesend, und die meisten sahen aus, als könnten sie sich selbst nicht mehr helfen, geschweige denn ihr.
Der Pianist spielte eine einlullende Melodie, und im Dunkeln tanzten ganze vier Paare, die einander umschlungen hielten und sich nur auf der Stelle bewegten. Die anderen im Zimmer schienen betrunken oder unter Drogen oder von der Berührung des Jaff gekennzeichnet zu sein; manche saßen, aber die meisten lagen auf den Möbeln und schienen überhaupt nichts mehr von ihrer Umgebung mitzubekommen. Die
magersüchtige Belinda Bristol war unter ihnen, aber ihr verbrauchter Körper war keine Hilfe gegen die drohende Gefahr. Neben ihr auf dem Sofa, den Kopf in ihrem Schoß 561
vergraben, lag der Sohn von Buddys Agent, der gleichermaßen weggetreten war.
Eve sah zur Tür zurück. Sagansky folgte ihr. Sie sah sich verzweifelt in dem
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