Jenseits des Bösen
wirklich oder unwirklich, farblos oder in Technicolor, Prüfsteine. Die wahren Objekte der Verehrung. Ihre Existenz hatte etwas unbestreitbar Rührendes. Aber er und Jo-Beth hatten sich nach ganzen Kräften bemüht, sich von diesem Krieg fernzuhalten; um das, was zwischen ihnen war, vor Befleckung und Leid zu beschützen. Dieser Vorsatz hatte sich nicht geändert.
Bevor er ihnen diesen Sachverhalt klarmachen konnte, trat eine Frau in mittleren Jahren, eine von denen, die er nicht kannte, aus den Reihen und fing an zu sprechen.
»Die Seele deines Vaters ist in uns allen«, sagte sie. »Wenn du uns im Stich läßt, dann läßt du auch ihn im Stich.«
»So einfach ist das nicht«, sagte er zu ihr. »Ich muß auch an andere Menschen denken.« Er streckte die Hand nach Jo-Beth 553
aus, die aufstand und sich neben ihn stellte. »Ihr wißt, wer das ist. Jo-Beth McGuire. Tochter des Jaff. Fletchers Feind, und demzufolge, wenn ich euch richtig verstanden habe, euer Feind. Aber ich muß euch sagen... sie ist das erste Mädchen in meinem Leben... von dem ich wirklich sagen kann, daß ich sie liebe. Sie geht mir über alles; über euch, Fletcher, diesen verdammten Krieg.«
Jetzt wurde eine dritte Stimme aus den Reihen laut.
»Es war mein Fehler...«
Howie drehte sich um und erblickte den blauäugigen Cowboy, Mel Knapps Schöpfung, der nach vorne trat. »Mein Fehler zu denken, du wolltest sie getötet haben. Ich bedaure das.
Wenn du nicht willst, daß ihr ein Leid getan wird...«
»Nicht wünschen, daß ihr ein Leid getan wird? Mein Gott, sie ist zehn Fletchers wert! Bei allem, was sie mir wert ist, könnt ihr getrost alle zum Teufel gehen!«
Es herrschte vielsagendes Schweigen.
»Niemand bestreitet es«, sagte Benny.
»Das höre ich.«
»Dann wirst du uns führen?«
»Mein Gott.«
»Der Jaff ist auf dem Hügel«, sagte die Frau. »Kurz davor, die ›Kunst‹ zu benützen.«
»Woher weißt du das?«
»Wir sind Fletchers Seele«, sagte der Cowboy. »Wir kennen die Ziele des Jaff.«
»Und ihr wißt, wie man ihn aufhalten kann?«
»Nein«, antwortete die Frau. »Aber wir müssen es
versuchen. Die Essenz muß bewahrt werden.«
»Und ihr glaubt, ich kann euch dabei helfen? Ich bin kein Stratege.«
»Wir zerfallen«, sagte Benny. Selbst in der kurzen Zeit, seit er hier war, waren seine Gesichtszüge noch verschwommener geworden. »Wir werden... verträumt. Wir brauchen jemanden, 554
der uns an unseren Lebenszweck erinnert.«
»Er hat recht«, sagte die Frau. »Wir sind nicht mehr lange hier. Die meisten werden den Morgen nicht mehr überdauern.
Wir müssen tun, was wir können. Schnell.«
Howie seufzte. Er hatte Jo-Beths Hand losgelassen, als das Mädchen aufgestanden war. Jetzt nahm er sie wieder.
»Was soll ich tun?« sagte er. »Hilf mir.«
»Das, was dir richtig erscheint.«
»Was mir richtig erscheint...«
»Du hast einmal zu mir gesagt, du hättest Fletcher gern besser gekannt. Vielleicht...«
»Was? Sprich es aus.«
»Mir gefällt die Vorstellung nicht, mit diesen... Träumen als Armee gegen den Jaff zu ziehen... aber wir können vielleicht nur im Sinne deines Vaters handeln, wenn wir tun, was er auch getan haben würde. Und uns so... von ihm befreien.«
Er sah sie mit neuerlichem Verständnis an. Sie begriff seine tiefste Verwirrung und sah den Weg durch das Labyrinth zu einem Ort, wo Fletcher und der Jaff keine Macht mehr über sie haben würden. Aber vorher mußte der Preis bezahlt werden.
Sie hatte ihn bezahlt; sie hatte seinetwegen ihre Familie verloren. Jetzt war er an der Reihe.
»Also gut«, sagte er zu den Versammelten. »Wir gehen auf den Hügel.«
Jo-Beth drückte seine Hand.
»Gut«, sagte sie.
»Willst du mitkommen?«
»Ich muß.«
»Ich wollte so sehr, daß wir nicht hineingezogen werden.«
»Wir überwinden es«, sagte sie. »Und wenn wir nicht
entkommen können... wenn uns beiden oder einem von uns etwas passiert... wir haben unsere schönen Stunden gehabt.«
»Sag das nicht.«
»Mehr als deine Mama hatte oder meine«, erinnerte sie ihn.
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»Mehr als die meisten Menschen hier. Howie, ich liebe dich.«
Er legte die Arme um sie, zog sie an sich und freute sich, daß Fletchers Seele, wenn auch in hundert verschiedenen Formen, hier war und es sehen konnte.
Ich glaube, ich bin bereit zu sterben, dachte er. So bereit, wie ich es nie mehr sein werde.
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X
Eve war atemlos und voller Entsetzen aus dem Zimmer im Obergeschoß geflohen. Sie hatte noch gesehen, wie Grillo
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