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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Auch jetzt erregte ihn ihr Anblick, obwohl sein Herz aus ganz anderen Gründen heftig klopfte. Sie bemerkte seinen Blick und küßte ihn.
    »Ich sehe niemanden«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
    »Vielleicht habe ich mich geirrt«, sagte sie. »Ich habe jedenfalls gedacht, ich hätte jemanden gehört.«
    »Geister«, sagte er, aber dann bedauerte er, daß er sich selbst auf den Gedanken gebracht hatte. Er zog die Hose hoch. Als er das tat, sah er eine Bewegung zwischen den Bäumen. »O
    Scheiße«, murmelte er.
    »Ich sehe etwas«, sagte sie. Er sah zu ihr. Sie schaute in die entgegengesetzte Richtung. Er folgte ihrem Blick und erkannte auch dort, in den Schatten des Baldachins, eine Bewegung.
    Und noch eine. Noch eine.
    »Sie sind überall«, sagte er, zog das Hemd an und griff nach den Jeans. »Was immer sie sind, sie haben uns umzingelt.«
    Er stand mit eingeschlafenen, kribbelnden und pieksenden Beinen auf und überlegte verzweifelt, wie er sich bewaffnen konnte. Konnte er vielleicht eine der Absperrungen zertrümmern und eines der Trümmer als Waffe benutzen? Er sah Jo-Beth an, die sich fast völlig angezogen hatte, dann wieder zwischen die Bäume.
    Eine verstohlene Gestalt, die ein Geisterlicht hinter sich herzog, erschien unter dem Baldachin. Plötzlich war ihm alles klar. Die Gestalt war Benny Patterson, den Howie zuletzt auf der Straße vor Lois Knapps Haus gesehen hatte, wo er ihm etwas nachrief. Jetzt hatte er kein Sonnenscheinlächeln mehr im Gesicht. Tatsächlich war sein Gesicht irgendwie
    verschwommen, die Gesichtszüge, als wären sie von einem 551
    schlampigen Fotografen aufgenommen worden. Aber das
    Leuchten, das er aus seinem Fernsehdasein mitgebracht hatte, begleitete ihn. Das war der Schimmer, der zwischen den Bäumen spukte.
    »Howie«, sagte er.
    Seine Stimme hatte, wie das Gesicht, die Individualität verloren. Er klammerte sich an sein Benny-Dasein, aber nur gerade so.
    »Was willst du?« fragte Howie.
    »Wir haben dich gesucht.«
    »Geh nicht zu ihm«, sagte Jo-Beth. »Er ist einer der
    Träume.«
    »Ich weiß«, sagte Howie. »Sie wollen uns nichts zuleide tun.
    Oder, Benny?«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann zeigt euch«, sagte Howie zu dem gesamten Kreis der Bäume. »Ich will euch sehen.«
    Sie befolgten seine Anweisung und traten reihum aus ihren Verstecken hinter den Bäumen. Alle hatten, wie Benny, eine Veränderung durchgemacht, seit er sie im Haus der Knapps gesehen hatte; ihre geschniegelten und polierten
    Persönlichkeiten waren trübe geworden, die strahlenden Lächeln verschwunden. Sie sahen einander ähnlicher,
    verwaschene Lichtgestalten, die sich nur mühsam an die Überbleibsel ihrer Identitäten klammerten. Die Fantasie der Bewohner des Grove hatte sie hervorgebracht und geformt, aber wenn sie sich nicht mehr in Gesellschaft ihrer Schöpfer befanden, strebten sie einem einfacheren Dasein zu: dem des Lichts, das aus Fletchers Körper gekommen war, als er im Einkaufszentrum starb. Dies war seine Armee, seine
    Halluzigenien, und Howie mußte sie nicht fragen, wen sie hier suchten. Ihn. Er war das Kaninchen aus Fletchers Hut, die reinste Schöpfung des Magiers. Gestern nacht war er vor ihren Forderungen geflohen, aber sie hatten ihn unbeirrbar gesucht 552
    und waren entschlossen, ihn als ihren Anführer zu bekommen.
    »Ich weiß, was ihr von mir wollt«, sagte er. »Aber ich kann es nicht geben. Dies ist nicht mein Krieg.«
    Er betrachtete die Versammelten beim Sprechen und unterschied Gesichter, die er im Haus der Knapps gesehen hatte, obwohl sie dabei waren, zu Licht zu zerfallen. Cowboys, Chirur-gen, Seifenopern-Königinnen und Quizmaster. Darüber hinaus waren viele da, die er nicht bei Lois' Party gesehen hatte. Eine Lichtgestalt war ein Werwolf; manche hätten Comic-Helden sein können; ein paar, genau vier, waren Inkarnationen von Christus, zwei davon bluteten Licht aus Stirn, Seiten, Händen und Füßen. Ein weiteres Dutzend sah aus, als wären sie aus einem Pornofilm gekommen; ihre Körper waren samen- und
    schweißfeucht. Da war ein scharlachroter, ballonförmiger Mann und Tarzan und Krazy Kat. Und unter diesen bekannten Göttern waren auch andere, private Fantasiegebilde, die, vermutete er, von der Wunschliste derer stammten, die von Fletchers Licht berührt worden waren. Verlorene Geliebte, deren Dahinscheiden kein anderer Mensch wiedergutmachen konnte; ein paar auf der Straße erblickte Gesichter, die anzusprechen die Träumenden nie gewagt hatten. Sie alle waren,

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