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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Körper darunter ebenso.
    Er hatte den Zug der Gespenster vom Hügel weggeführt, damit er sich in Ruhe überlegen konnte, wie er in das Haus hineinkam. Er wollte nicht noch einmal eine Demütigung wie in der Bar erleben - daß die Wachen ihn zusammenschlugen, bevor die Hölle ausbrach. Wenn sein Vater ihn in seiner neuen Inkarnation als der Todesjunge sah, wollte er völlige Kontrolle haben. Doch diese Hoffnung schwand rapide. Je länger er zögerte, desto unbezähmbarer wurden sie. Sie hatten bereits die lutheranische Kirche Prince of Peace vernichtet, als hätte es eines Beweises bedurft, daß Stein ebenso reif für die Zerstörung war wie Fleisch. Ein Teil von ihm, der Teil, der Palomo Grove bis ins Innerste haßte, wollte sie Amoklaufen lassen. Sollten sie doch die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen. Aber wenn er diesem Impuls nachgab, dann würde er, wie er genau wußte, völlig die Macht über sie verlieren. Außerdem war irgendwo im Grove ein Lebewesen, 567
    das er vor Schaden beschützen wollte: Jo-Beth. Einmal entfesselt, würde der Sturm keine Unterscheidung mehr treffen.
    Ihr Leben wäre verwirkt, wie das aller anderen.
    Er wußte, ihm blieb nur noch kurze Zeit, bis ihre Unschuld die Oberhand gewann und sie den Grove dennoch verwüsteten; daher fuhr er zum Haus seiner Mutter. Wenn Jo-Beth in der Stadt war, würde sie dort sein; und wenn es zum Schlimmsten kam, würde er sie schnappen und zum Jaff bringen, der sicher am besten wußte, wie man dem Sturm wieder Einhalt gebieten konnte.

    Mamas Haus war dunkel, wie die meisten Häuser in der Straße, ja sogar im ganzen Grove. Er parkte und stieg aus dem Auto aus. Der Sturm, der sich nicht mehr damit zufriedengab, ihm zu folgen, brauste heran und umdrängte ihn.
    »Zurück!« befahl er den gaffenden Gesichtern, die vor ihm schwebten. »Ihr bekommt, was ihr wollt. Was ihr wollt. Aber dieses Haus und alle, die darin sind, laßt ihr in Ruhe. Verstanden?«
    Sie spürten das Ausmaß seiner Gefühle. Er hatte ihr Lachen gehört, wenn sie derlei erbärmliche Sensibilität verspotteten.
    Aber er war immer noch der Todesjunge. Sie brachten ihm schwindende Unterwürfigkeit entgegen. Der Sturm wich ein wenig die Straße hinab und wartete.
    Er schlug die Autotür zu, ging zum Haus hinauf und sah noch einmal auf die Straße zurück, weil er sichergehen wollte, daß seine Armee ihn nicht verriet. Sie blieb auf Distanz. Er klopfte an die Tür.
    »Mama?« brüllte er. »Ich bin es, Mama, Tommy-Ray. Ich habe einen Schlüssel, aber ich komme nur rein, wenn du mich darum bittest. Kannst du mich hören, Mama? Du mußt keine Angst haben. Ich werde dir nichts tun.« Er hörte ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür. »Bist du das, Mama? Bitte antworte mir.«
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    »Was willst du?«
    »Laß mich bitte das Haus sehen. Laß mich dich sehen.«
    Die Tür wurde entriegelt und aufgemacht. Mama war in
    Schwarz gekleidet, das Haar offen. »Ich habe gebetet«, sagte sie.
    »Für mich?« sagte Tommy-Ray.
    Mama antwortete nicht.
    »Also nicht, oder?« sagte er.
    »Du hättest nicht zurückkommen sollen, Tommy-Ray.«
    »Dies ist mein Zuhause«, sagte er. Ihr Anblick schmerzte ihn mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Nach den
    Offenbarungen, die die Reise gebracht hatte - der Hund und die Frau -, den Ereignissen in der Mission und den Schrecken der Rückfahrt, hatte er gedacht, daß er überwunden haben würde, was er jetzt empfand: erstickenden Kummer.
    »Ich möchte reinkommen«, sagte er und wußte, noch
    während er es aussprach, daß es keinen Weg zurück gab. Er hatte den Kopf eigentlich nie an den Busen der Familie legen wollen. Jo-Beth dagegen schon. Jetzt schweiften seine Gedanken zu ihr ab. »Wo ist sie?« sagte er.
    »Wer?«
    »Jo-Beth.«
    »Die ist nicht da«, antwortete Mama.
    »Wo dann?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Erzähl mir keine Lügen. Jo-Beth!« schrie er. »Jo-Beth!«
    »Selbst wenn sie hier wäre...«
    Tommy-Ray ließ sie nicht zu Ende sprechen. Er drängte sich an ihr vorbei über die Schwelle. »Jo-Beth! Ich bin es, Tommy-Ray! Ich brauche dich, Jo-Beth! Ich brauche dich, Baby!«
    Es spielte keine Rolle mehr, ob er sie Baby nannte und ihr sagte, daß er sie küssen und ihre Fotze lecken wollte: das war o. k. Es war Liebe, und Liebe war der einzige Schutz vor dem Staub und dem Wind und allem, was darin heulte, den er, oder 569
    sonst jemand, noch besaß; er brauchte sie mehr denn je. Er achtete nicht auf Mamas Einwände, sondern ging von Zimmer zu Zimmer

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