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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Spiel treiben. Zuerst kam natürlich Angst um ihr Leben. Dicht gefolgt von der Verwirrung des Ekels angesichts von Jo-Beths Zustand - und Schuldgefühlen wegen dieses Ekels. Aber die Botschaft, die in 644
    der Luft lag, war so dringend, daß er trotz dieser Ängste weiter zum Strand hinunterging. Sie war mittlerweile beinahe eine körperliche Empfindung, was ihn an eine andere Zeit seines Lebens erinnerte, und natürlich an einen anderen Ort; eine Erinnerung, die er nicht ganz zu fassen bekam. Einerlei. Die Botschaft war ohne jeden Zweifel. Was immer die Iad waren, sie brachten Schmerzen: unablässige, unerträgliche Schmerzen.
    Einen Holocaust, bei dem jeder Aspekt des Todes erforscht und gefeiert werden würde, nur nicht das Dahinscheiden selbst; dieses würde hinausgezögert werden, bis der gesamte Kosm ein einziges menschliches Schluchzen nach Erlösung sein würde. Irgendwo hatte er schon einmal einen Vorgeschmack davon verspürt, in einer Ecke von Chicago. Vielleicht tat sein Verstand ihm einen Gefallen, weil er die Erinnerung daran nicht preisgeben wollte.
    Die Wellen waren noch einen Meter entfernt, sie schwollen langsam an und dröhnten, wenn sie brachen.
    »Es geht los«, sagte er zu Jo-Beth.
    Ihre einzige Reaktion - wofür er außerordentlich dankbar war - bestand darin, daß sie seine Hand ganz fest nahm, worauf sie gemeinsam in das verwandelnde Meer stiegen.
    645
    IV

    Als er an Ellen Nguyens Haustür klingelte, kam nicht sie, um aufzumachen, sondern ihr Sohn.
    »Ist deine Mama da?« fragte er.
    Der Junge sah keineswegs gesund aus, hatte aber keinen Schlafanzug mehr an, sondern schmutzige Jeans und ein noch schmutzigeres T-Shirt.
    »Ich dachte, du bist weggegangen«, sagte er zu Grillo.
    »Warum?«
    »Weil alle weg sind.«
    »Das stimmt.«
    »Willst du reinkommen?«
    »Ich würde gerne mit deiner Mama sprechen.«
    »Die ist beschäftigt«, sagte Philip, machte aber trotzdem die Tür auf. Das Haus war noch chaotischer als beim ersten Besuch; die Überreste mehrerer Fertiggerichte lagen herum.
    Die Kreationen eines kindlichen Gourmets, dachte Grillo: Hot Dogs und Eiskrem.
    »Wo ist denn deine Mama?« wandte sich Grillo an Philip.
    Er deutete zur Schlafzimmertür, nahm einen Teller mit halb aufgegessenen Speisen und entfernte sich.
    »Warte«, sagte Grillo. »Ist sie krank?«
    »Nee«, sagte der Junge. Er sah aus, als hätte er seit Wochen keine acht Stunden mehr durchgeschlafen, überlegte Grillo.
    »Sie kommt nicht mehr raus«, fuhr er fort. »Nur nachts.«
    Er wartete, bis Grillo mit einem Nicken geantwortet hatte, dann ging er in sein Zimmer, weil er sämtliche Informationen gegeben hatte, deren er fähig war. Grillo hörte, wie der Junge die Tür zumachte und es ihm überließ, alleine über das Problem nachzudenken. Die jüngsten Ereignisse hatten ihm nicht viel Zeit für erotische Tagträume gelassen, aber die Stunden, die er dort verbracht hatte, in eben dem Zimmer, in das sich Ellen zurückgezogen hatte, übten eine starke 646
    Faszination auf sein Denken und seine Lenden aus. Trotz der frühen Morgenstunde, seiner generellen Müdigkeit und der verzweifelten Lage im Grove wollte ein Teil von ihm die Sache zu Ende bringen, die beim letzten Mal unvollendet geblieben war: nur einmal richtig mit Ellen schlafen, bevor er zu der Reise unter die Erde aufbrach. Er ging zur Schlafzimmertür und klopfte. Er hörte nur ein Stöhnen von drinnen.
    »Ich bin's«, sagte er. »Grillo. Kann ich reinkommen?«
    Er drehte, ohne auf eine Antwort zu warten, den Knauf. Die Tür war nicht abgeschlossen - sie ging einen Zentimeter auf -
    aber etwas verhinderte, daß er sie weiter aufmachte. Er drückte etwas fester, dann noch fester. Ein Stuhl, der auf der anderen Seite unter den Knauf gestellt worden war, fiel lärmend um.
    Grillo stieß die Tür auf.
    Zuerst dachte er, sie wäre allein im Zimmer. Krank und allein. Sie lag im Morgenmantel auf dem ungemachten Bett, der Gürtel war nicht zugebunden, der Mantel offen. Darunter war sie nackt. Sie drehte das Gesicht nur ganz langsam in seine Richtung, und als sie es tat - mit in der Düsternis glitzernden Augen -, brauchte sie ein paar Sekunden, bis sie auf sein Eintreten reagierte.
    »Bist du es wirklich?« sagte sie.
    »Natürlich. Ja. Wer sonst...?«
    Sie richtete sich ein wenig im Bett auf und zog den Morgenmantel über den Körper. Er sah, daß sie sich nicht mehr rasiert hatte, seit er hier gewesen war. Er bezweifelte überhaupt, daß sie das Zimmer oft verlassen hatte.

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