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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihr Fehlen hindurch die Jo-Beth sehen, die er später lieben gelernt hatte. Das würde schwer werden.
    Er sah von ihr weg zum Meer. Die Wellen waren wie
    Donner.
    »Wir müssen wieder in der Essenz schwimmen«, sagte er.
    »Das können wir nicht!« sagte sie. »Ich kann es nicht!«
    »Wir haben keine andere Wahl. Es ist der einzige Weg zu-rück.«
    »Sie hat mir das angetan«, sagte sie. »Sie hat mich
    verwandelt!«
    »Wenn wir jetzt nicht gehen«, sagte Howie, »dann können wir überhaupt nicht mehr gehen. So einfach ist das. Wenn wir hierbleiben, sterben wir hier.«
    »Das wäre vielleicht nicht das Schlechteste«, sagte sie.
    »Wie könnte das sein?« sagte Howie. »Wie könnte das
    Sterben nicht das Schlechteste sein?«
    »Das Meer wird uns sowieso umbringen. Es wird uns verändern.«
    »Nicht, wenn wir ihm vertrauen. Uns ihm ergeben.«
    Er erinnerte sich kurz an seine Reise hierher, wie er sich auf dem Rücken treiben ließ und die Lichter betrachtet hatte. Die Rückreise würde nicht so ruhig verlaufen. Die Essenz war kein ausgeglichenes Meer der Seelen mehr. Aber hatten sie eine andere Wahl?
    »Wir können bleiben«, sagte Jo-Beth wieder. »Wir können 642
    hier zusammen sterben. Selbst wenn wir zurückkommen...« Sie fing wieder an zu schluchzen. »... wenn wir zurückkommen, ich könnte nicht so leben.«
    »Hör auf zu weinen«, sagte er zu ihr. »Und hör auf, vom Sterben zu reden. Wir werden zum Grove zurückkehren. Wir beide. Wenn schon nicht für uns selbst, dann wenigstens, um die Menschen zu warnen.«
    »Wovor?«
    »Etwas kommt über die Essenz. Eine Invasion. Auf dem
    Weg in unsere Heimat. Darum ist das Meer so wild.«
    Der Aufruhr am Himmel über ihnen war ebenso wild. Weder am Himmel noch im Meer waren noch Anzeichen der Seelenlichter zu sehen. So kostbar die Augenblicke auf Ephemeris auch sein mochten, alle Träumenden hatten die Reise
    abgebrochen und waren aufgewacht. Er beneidete sie um ihre mühelose Reise. Wenn er doch auch einfach nur aus diesem Entsetzen entkommen und in seinem Bett aufwachen könnte.
    Vielleicht verschwitzt; sicher verängstigt. Aber daheim.
    Behaglich und ruhig. Doch das kam für Eindringlinge wie ihn nicht in Frage; Fleisch und Blut an einem Ort des Geistes. Und auch nicht, dachte er jetzt, für die anderen hier. Er mußte sie warnen, das war er ihnen schuldig, obwohl er vermutete, daß seine Worte keine Aufmerksamkeit finden würden.
    »Komm mit mir«, sagte er.
    Er nahm Jo-Beths Hand und ging mit ihr gemeinsam am
    Strand entlang zu der Stelle, wo die anderen Überlebenden sich versammelt hatten. Es hatte sich sehr wenig verändert, aber der Mann, der im Wasser gelegen hatte, war nicht mehr da; er war, vermutete Howie, vom tosenden Meer fortgerissen worden. Offenbar war ihm niemand zu Hilfe gekommen. Sie standen oder saßen wie zuvor und sahen immer noch über die Essenz
    hinweg. Howie ging zum ersten, einem Mann, der nicht viel älter als er selbst war und dessen Gesicht für den derzeitigen leeren Ausdruck wie geschaffen schien.
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    »Sie müssen hier verschwinden«, sagte er. »Wir müssen alle fort.«
    Das Drängen in seiner Stimme riß den Mann ein wenig aus seiner Benommenheit, aber nicht sehr. Er brachte ein müdes
    »Ja?« heraus, unternahm aber nichts.
    »Wenn Sie bleiben, sterben Sie«, sagte Howie zu ihm und sprach dann mit lauter Stimme über das Dröhnen der Wellen hinweg zu ihnen allen. »Ihr werdet sterben!« sagte er. »Ihr müßt in der Essenz schwimmen und euch zurückbringen
    lassen.«
    »Wohin?« sagte der junge Mann.
    »Was soll das heißen, wohin?«
    »Wohin zurück?«
    »In den Grove. Wo ihr hergekommen seid. Erinnert ihr euch nicht?«
    Keiner gab darauf eine Antwort. Vielleicht konnte er sie nur zur Flucht bewegen, wenn er mit gutem Beispiel voranging, überlegte Howie.
    »Jetzt oder nie«, sagte er zu Jo-Beth.
    Sie leistete immer noch Widerstand. Er mußte ihre Hand ganz fest nehmen und sie zu den Wellen führen.
    »Vertraue mir«, sagte er.
    Sie antwortete ihm nicht, kämpfte aber auch nicht mehr darum, am Strand zu bleiben. Eine beunruhigende
    Gleichgültigkeit war über sie gekommen, deren einziges Verdienst vielleicht war, dachte er, daß die Essenz sie diesmal in Ruhe lassen würde. Er war nicht sicher, ob sie ihn mit solcher Gleichgültigkeit behandeln würde. Er war keineswegs so frei von Gefühlen wie während der Reise hierher. Alle möglichen Empfindungen tobten in ihm, und möglicherweise wollte die Essenz mit einer oder allen ihr

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