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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Schluß.«
    Perlenkette, dachte Tesla, und ich in der Mitte, weil Hotchkiss wahrscheinlich kein Vertrauen in meine Muskeln hat. Sie widersprach nicht. Er leitete dieses Unternehmen, und sie zweifelte nicht daran, daß es in jeder Hinsicht so närrisch war, wie er behauptet hatte; es wäre eine lausige Politik, seine Autorität zu untergraben, wo der Abstieg unmittelbar
    bevorstand.
    »Wir haben Fackeln«, fuhr er fort. »Jeder zwei. Eine stecken wir ein, die andere hängen wir uns um den Hals. Wir konnten keinen geeigneten Kopfschutz finden; Strickmützen müssen genügen. Wir haben Handschuhe, Stiefel, zwei Pullover und zwei Paar Socken für jeden. Fangen wir an.«
    Sie trugen die Ausrüstung zwischen den Bäumen durch zur Lichtung und zogen sie dort an. Der Wald war jetzt ebenso still wie am frühen Morgen. Die Sonne schien heiß auf ihre
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    Rücken, so daß ihnen der Schweiß ausbrach, kaum hatten sie die zusätzlichen Kleidungsstücke angelegt, aber sie brachte keinen einzigen Vogel zum Singen. Nachdem sie sich
    angezogen hatten, seilten sie sich an, etwa sechs Schritte auseinander. Der Theoretiker Hotchkiss kannte seine Knoten und band sie, besonders die von Tesla, mit theatralischer Beiläufigkeit. Grillo war der letzte, der angekettet wurde. Er schwitzte mehr als alle anderen, und die Adern an den Schläfen waren beinahe so dick wie das Seil um seine Taille.
    »Alles O. K.?« sagte Tesla zu ihm, als Hotchkiss am Rand der Spalte saß und die Beine über den Abgrund schwang.
    »Bestens«, antwortete Grillo.
    »Bist nie ein überzeugender Lügner gewesen«, antwortete sie.
    Hotchkiss gab eine letzte Anweisung.
    »Wenn wir da unten sind«, sagte er, »wollen wir so wenig wie möglich reden, hm? Wir müssen unsere Energie sparen.
    Vergessen wir nicht, der Abstieg ist nur der halbe Weg.«
    »Der Heimweg geht immer schneller«, sagte Tesla.
    Hotchkiss bedachte sie mit einem zurechtweisenden Blick und begann den Abstieg.
    Die ersten paar Meter waren vergleichsweise einfach, doch kaum waren sie drei Meter unten, fingen die Probleme an, als sie sich durch eine Felsspalte manövrierten, die ihnen gerade eben Platz bot, und das Sonnenlicht so plötzlich und unvermittelt verschwand, als hätte es nie existiert. Die Fackeln waren ein schwacher Ersatz.
    »Wir warten einen Augenblick hier«, rief Hotchkiss von unten. »Bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.«
    Tesla konnte hören, wie Grillo hinter ihr schwer, fast keuchend, atmete.
    »Grillo«, murmelte sie.
    »Alles O. K. Alles O. K.«
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    Das war leicht gesagt, aber ihm war ganz anders zumute. Er kannte die Symptome von früheren Anfällen: in Fahrstühlen, die steckengeblieben waren, oder in der überfüllten U-Bahn.
    Das Herz schlug ihm heftig in der Brust, und ihm war, als würde sich eine Drahtschlinge um seinen Hals
    zusammenziehen. Aber das waren nur Äußerlichkeiten. Er hatte echte Angst vor einer Panik, die ein so unerträgliches Ausmaß annehmen konnte, daß sein Denken einfach
    abschaltete wie eine Lampe und es innen wie außen dunkel wurde. Er verfügte über ein ganzes Regiment von
    Gegenmaßnahmen - Tabletten; tiefes Durchatmen; in Extrem-fällen Gebete -, aber die nützten ihm jetzt überhaupt nichts. Er konnte nur leiden. Er sagte das Wort laut. Tesla hörte es.
    »Hast du Freuden gesagt?« meinte sie. »Schöner Vergnü-
    gungsausflug.«
    »Seid still da hinten!« polterte Hotchkiss von unten. »Wir gehen weiter.«
    Sie kletterten stumm weiter; das Schweigen wurde nur von einem Grunzen unterbrochen, und einmal rief Hotchkiss, daß der Abstieg weiter vorne steiler wurde. Aus dem
    zickzackförmigen Abstieg, als sie sich zwischen Felsbrocken durchzwängen mußten, die der Geysir der beiden Nunciaten aufgerissen hatte, wurde bald ein schnurgerades Abseilen in einen Schacht, dessen Boden die Fackeln nicht erhellen konnten. Es war bitter kalt, und sie waren froh um die Kleidungsstücke, die sie auf Befehl von Hotchkiss angezogen hatten, obwohl die dicken Schichten das Vorankommen
    erschwerten. Die Felsen unter ihren Handschuhen waren an manchen Stellen naß, zweimal spritzte ihnen Wasser entgegen, das auf einen Sims auf der anderen Seite des Schachts tropfte.
    Die Summe allen Unbehagens brachte Tesla zu der
    Überlegung, was für ein bizarrer Impuls Männer - sicher handelte es sich nur um Männer; Frauen waren nicht so pervers
    - dazu trieb, sich dies als Freizeitsport auszusuchen. Lag es 668
    daran, daß sich, wie Hotchkiss gesagt hatte,

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