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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sonst ein Ärgernis, aber nun zeigte es plötzlich zuviel. Als sie über den Sims hinunterkletterten, war es unmöglich, nicht zu der besagten Stelle zu sehen. Dort, auf dem glitzernden Felsen, lag ein Bündel totes Fleisch. Der Kopf des Mannes war auf dem Felsen aufgebrochen wie eine Eierschale. Die Gliedmaßen waren in den unmöglichsten Winkeln verkrümmt und ganz sicher von einem Gelenk bis zum anderen gebrochen. Eine Hand lag mit nach oben gerichteter Handfläche auf dem Halsansatz. Die andere war direkt vor seinem Gesicht, die Finger leicht geöffnet, als würde er Verstecken spielen.
    Der Anblick war eine Erinnerung daran, wozu ein einziges Abrutschen führen konnte - falls überhaupt eine Erinnerung 671
    daran notwendig gewesen wäre. Danach setzten sie den
    Abstieg um so vorsichtiger fort.
    Das Geräusch fließenden Wassers war eine Zeitlang verschwunden gewesen, aber nun fing es wieder von vorne an.
    Diesmal wurde es nicht von der Felswand gedämpft. Es war eindeutig unter ihnen. Sie kletterten weiter hinunter, hielten aber alle zehn Schritte inne, damit Hotchkiss das Dunkel unter ihnen sondieren konnte. Erst beim vierten Halt hatte er etwas zu berichten, als er über das Tosen des Wassers rief, daß es eine gute und eine schlechte Nachricht gab. Die gute, daß der Schacht hier aufhörte. Die schlechte, daß er überflutet war.
    »Gibt es keinen festen Boden da unten?« wollte Tesla
    wissen.
    »Nicht viel«, antwortete Hotchkiss. »Und das bißchen sieht nicht sehr stabil aus.«
    »Wir können nicht einfach wieder hinaufklettern«,
    antwortete Tesla.
    »Nein?« lautete die Antwort.
    »Nein«, beharrte sie. »Wir sind bis hierher gekommen.«
    »Er ist nicht hier unten«, rief Hotchkiss zurück.
    »Davon will ich mich selbst überzeugen.«
    Er antwortete nicht, aber sie konnte sich vorstellen, wie er sie in der Dunkelheit verfluchte. Aber nach wenigen
    Augenblicken setzte er den Abstieg fort. Das Tosen des Wassers wurde so laut, daß eine weitere Unterhaltung
    unmöglich wurde, bis sie sich schließlich alle unten
    eingefunden hatten und dicht zusammen stehen konnten.
    Hotchkiss' Meldung war zutreffend gewesen. Die winzige Plattform am Ende des Schachts war nicht mehr als eine Anhäufung von Geröll, die die Strömung zusehends mit sich riß.
    »Das ist erst in jüngster Zeit entstanden«, sagte Hotchkiss.
    Wie um seiner Beobachtung Nachdruck zu verleihen,
    bröckelte, noch während er sprach, durch die Gewalt des 672
    Wassers ein Stückchen von der Felswand ab, aus der es hervorsprudelte, und wurde in die tosende Dunkelheit gerissen.
    Das Wasser strömte mit neuerlicher Wucht über das schmale Ufer, auf dem sie standen.
    »Wenn wir nicht zusehen, daß wir hier verschwinden«,
    schrie Witt über den Lärm der Flut hinweg, »werden wir alle fortgespült.«
    »Ich finde auch, wir sollten wieder hinaufklettern«, stimmte Hotchkiss zu. »Wir haben einen weiten Weg vor uns. Und wir sind alle kalt und müde.«
    »Halt!« protestierte Tesla.
    »Er ist nicht hier!« antwortete Witt.
    »Das glaube ich nicht.«
    »Und was schlagen Sie vor, Miss Bombeck?« schrie Hotchkiss.
    »Nun, wir könnten damit anfangen, daß wir diese Scheiße von wegen Bombeck sein lassen. Ist es nicht möglich, daß dieser Strom einmal versiegt?«
    »Vielleicht. Nach ein paar Stunden. Aber wenn wir warten, erfrieren wir. Und selbst wenn er aufhört...«
    »Ja?«
    »Selbst wenn er aufhört, haben wir keinen Hinweis, in welche Richtung der Jaff gegangen ist.« Hotchkiss ließ die Fackel im Schacht kreisen. Sie reichte gerade aus, die vier Wände anzuleuchten, aber man konnte sehen, daß verschiedene Tunnel von der Stelle wegführten. »Möchten Sie raten?«
    brüllte Hotchkiss.
    Die Möglichkeit, daß ihre Mission gescheitert war, drängte sich Tesla nun auf. Sie gab sich beste Mühe, nicht darauf zu achten, aber das war schwer. Sie war zu blauäugig gewesen, als sie gedacht hatte, der Jaff würde einfach hier unten sitzen - wie ein Frosch im Brunnen - und auf sie warten. Er konnte in jeden Tunnel auf der anderen Seite des reißenden Stroms
    verschwunden sein. Manche waren wahrscheinlich Sackgassen, 673
    andere führten in trockene Höhlen. Selbst wenn sie auf dem Wasser gehen könnten - ihr selbst fehlte die Übung -, welchen Weg sollten sie einschlagen? Sie zündete ihre eigene Fackel an, um die Tunnel persönlich in Augenschein zu nehmen, aber ihre Finger waren kalt und ungelenk, und als sie die Fackel drehen wollte, fiel sie ihr aus der Hand,

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