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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Taubheit: Kopf, Hals, Arme, Bauch. Wollte man Hotchkiss' Stöhnen beim Aufstehen glauben, hatte er dasselbe Problem. Grillo sah einfach in das Wasser, das Witt verschlungen hatte; seine Zähne
    klapperten.
    »Es ist hinter uns«, sagte Hotchkiss.
    »Was denn?«
    »Das Licht. Es kommt von hinter uns.«
    Sie drehte sich um, und die Schmerzen in der Seite wurden zu kurzen, heftigen Stichen. Sie bemühte sich, ihre
    Beschwerden für sich zu behalten, aber Hotchkiss war ihr kurzes, heftiges Einatmen nicht entgangen.
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    »Können Sie gehen?« sagte er.
    »Können Sie es?«
    »Wettlauf?«
    »Klar.«
    Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Blut floß aus einer Stelle beim rechten Ohr, und er hielt sich den linken Arm mit dem rechten.
    »Sie sehen beschissen aus«, sagte sie.
    »Sie auch.«
    »Grillo? Kommst du?«
    Keine Antwort; nur Zähneklappern.
    »Grillo?« sagte sie.
    Er hatte die Augen von der Wasseroberfläche abgewandt und sah zum Dach der Höhle hinauf.
    »Sie ist über uns«, hörte sie ihn murmeln. »Die ganze Erde ist über uns.«
    »Sie fällt nicht herunter«, sagte Tesla. »Wir kommen hier raus.«
    »Nein, wir kommen nicht hier raus! Wir sind begraben! Lebendig begraben!«
    Plötzlich war er auf den Beinen, und aus dem Zähneklappern war hallendes Schluchzen geworden. »Bringt mich hier raus!
    Bringt mich hier raus!«
    »Seien Sie still, Grillo!« sagte Hotchkiss, aber Tesla wußte, keine Worte würden die Panik aufhalten können. Sie ließ ihn schluchzen und ging auf den Riß in der Felswand zu, aus dem das Licht schien.
    Das ist der Jaff, dachte sie beim Gehen. Es kann kein Tageslicht sein, daher muß es der Jaff sein. Sie hatte sich zurechtge-legt, was sie zu ihm sagen wollte, aber die Argumente waren aus ihrem Kopf herausgepreßt worden. Sie konnte es nur darauf ankommen lassen. Dem Mann gegenüberzutreten und zu hoffen, daß ihre Zunge den Rest erledigte.
    Sie hörte, wie Grillos Schluchzen hinter ihr aufhörte und 677
    Hotchkiss sagte: »Da ist Witt.«
    Sie drehte sich um. Witts Leichnam war aus dem See emporgestiegen und trieb mit dem Gesicht nach unten ein Stück vom Ufer entfernt an der Oberfläche. Sie betrachtete ihn nicht, sondern drehte sich wieder um und ging weiter auf den Riß zu, allerdings mit schmerzhaften, langsamen Schritten. Sie hatte das Gefühl, als würde sie auf das Licht zugezogen werden, und das Gefühl wurde um so stärker, je näher sie kam, als würden ihre vom Nuncio berührten Zellen die Anwesenheit von jemandem spüren, der gleichermaßen berührt worden war. Das verlieh ihrem erschöpften Körper die erforderliche Beschleunigung, daß sie es bis zu dem Riß schaffte. Sie lehnte sich gegen den Fels und sah hinein. Die Höhle auf der anderen Seite war kleiner als die, die sie hinter sich ließ. In der Mitte war etwas, das sie auf den ersten Blick als Feuer ansah, aber es bestand doch nur eine entfernte Verwandtschaft. Das Licht, das es abgab, war kalt, das Flackern alles andere als konstant. Von seinem Erzeuger war keine Spur zu sehen. Sie trat ein und tat ihre Anwesenheit kund, damit er ihr Auftauchen nicht als Angriff einstufte.
    »Ist jemand hier?« sagte sie. »Ich möchte mit... Randolph Jaffe sprechen.«
    Sie beschloß, ihn mit diesem Namen anzusprechen, weil sie hoffte, dadurch den Mann anzusprechen, und nicht den
    Künstler, der aus ihm geworden war. Es funktionierte. Aus einer Spalte im entlegensten Winkel der Höhle sprach eine Stimme, die ebenso erschöpft wie ihre eigene klang.
    »Wer sind Sie?«
    »Tesla Bombeck.«
    Sie ging auf das Feuer zu, das sie als Ausrede benützte, um einzutreten. »Es macht Ihnen doch nichts aus?« sagte sie, zog die durchnäßten Handschuhe aus und streckte der freudlosen Flamme die Hände entgegen.
    »Es gibt keine Wärme ab«, sagte der Jaff. »Es ist kein echtes 678
    Feuer.«
    »Das sehe ich«, sagte sie. Der Brennstoff schien eine Art verwester Materie zu sein. Terata. Das rauchige Leuchten, das sie für Flammen gehalten hatte, war das letzte Zeichen ihres Verfalls.
    »Sieht aus, als wären wir allein«, sagte sie.
    »Nein«, sagte er. »Ich bin allein. Sie haben Menschen mitgebracht.«
    »Ja, das habe ich. Einen kennen Sie. Nathan Grillo.«
    Der Name lockte den Jaff aus seinem Versteck.
    Sie hatte zweimal den Wahnsinn in seinen Augen gesehen.
    Einmal im Einkaufszentrum, wo Howie sie darauf hingewiesen hatte. Das zweite Mal, als er aus Vance' Haus getaumelt war und das Schisma, das er aufgerissen hatte, brüllend hinter sich

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